Die Welt als Quantenobjekt? Ein neuer Beweis

Zum ersten Mal konnten sie beobachten, dass mehrere aufeinander folgende Messungen eines makroskopischen Objekts (in diesem Fall eine supraleitende [2] elektrische Schaltung) eine mathematische Eigenschaft widerlegen können, die allen Systemen eigen ist, die sich nach den Gesetzen der klassischen Physik verhalten – die „Zeitabhängige Bellsche Ungleichung“. Die Ergebnisse wurden am 1. Juni in der Fachzeitschrift „Nature Physics“ veröffentlicht.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts herrscht unter Physikern eine Debatte über das Konzept des Realismus der Erde [3]. Existieren die Objekteigenschaften schon bevor sie gemessen werden, oder werden sie durch eine Überlagerung verschiedener Zustände definiert? Kann sich beispielsweise ein Gegenstand an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig befunden haben, bevor er beobachtet wurde?

Um diese Diskussion zu formalisieren, stellte der Physiker John Bell im Jahr 1964 Ungleichungen auf, unter der Annahme, dass die Welt von der „klassischen“ Physik regiert wird. Bereits in den achtziger Jahren wurden diese Ungleichungen experimentell vom Team um Alain Aspect widerlegt: die Untersuchung zweier korrelierter Photonen [4], die über eine große Entfernung voneinander getrennt sind, ließ auf den Quantencharakter der Erde schließen – zwei Objekte können so sehr ineinander „verschachtelt“ sein, dass es keinen Sinn mehr ergeben würde, von dem jeweiligen Zustand des einzelnen Objekts zu reden, auch wenn sie sehr weit voneinander entfernt sind.

1985 schlug der Physiker Anthony Leggett eine vergleichbare Ungleichung vor. Er baut sie jedoch nicht auf zwei räumlich getrennten Objekten auf, sondern auf einem einzigen, das zu verschiedenen Zeitpunkten gemessen wird – daraus ergab sich der Name „Zeitabhängige Bellsche Ungleichung“. Diese Ungleichung, die bis heute noch nie experimentell widerlegt werden konnte, wurde nun zum ersten Mal von einem Team des CEA überprüft und entkräftet.

Die Besonderheit des angewendeten Verfahrens liegt darin, dass das untersuchte System kein natürliches Quantenobjekt (z.B. ein Photon, ein Elektron oder ein Atom), sondern eine aus Josephson-Kontakten [5] und Kondensatoren bestehende makroskopische elektrische Schaltung ist. Durch Messung dieser Schaltung ist es den Physikern gelungen, die Zeitabhängige Bellsche Ungleichung zu widerlegen, indem sie ihr Quantenverhalten verdeutlichten: solange sie nicht gemessen wird, hat sie keinen klar definierten elektrischen Zustand, und sie kann nicht gemessen werden, ohne dass ihr zeitliches Verhalten verändert wird.

[1] CEA: Behörde für Atomenergie und alternative Energien. Iramis: Institut für Materie und Strahlung

[2] Supraleiter: Werkstoff, der den Strom ohne Widerstand leitet und somit kaum einen Energieverlust durch Wärmeerzeugung aufweist.

[3] Realismus: Eigenschaft der Erde, wonach die Eigenschaften eines Objekts unabhängig von ihrer Beobachtung existieren. Die Quantenmechanik wiederum beschreibt die Welt als nicht realistisch und nur wahrscheinlich.

[4] Korreliertes Photonenpaar: zwei Lichtteilchen, die gleichzeitig durch dieselbe Quelle erzeugt werden und entgegengesetzte Polarisationen aufweisen.

[5] Josephson-Kontakt: besteht aus zwei schwach gekoppelten supraleitenden Elektroden, die durch eine dünne Isolierschicht voneinander getrennt sind.

Referenz: „Experimental violation of a Bell’s inequality in time with weak measurement“, Agustin Palacios- Laloy, François Mallet, François Nguyen, Patrice Bertet, Denis Vion, Daniel Estève and Alexander Korotkov

Nature Physics, 01.06.2010 http://www.nature.com/nphys/journal/vaop/ncurrent/full/nphys1641.html

Quelle: „Une nouvelle preuve du caractère quantique du monde“, Pressemitteilung des CEA – 01.06.2010 http://www.cea.fr/le_cea/actualites/caractere_quantique_du_monde-34609

Redakteur: Sebastian Ritter, sebastian.ritter@diplomatie.gouv.fr

Wissenschaft-Frankreich (Nummer 185 vom 09.06.2010) Französische Botschaften in Deutschland und Österreich

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