Supraleiter: Seit 100 Jahren Rätsel der Physik

Magnet schwebt über Stickstoff-gekühltem Hochtemperatursupraleiter (Foto: Wikimedia Commons)<br>

Genau 100 Jahre ist es her, dass der Niederländer Heike Kamerlingh Onnes sogenannte „supraleitende“ Materialien ohne elektrischem Widerstand bei niedrigen Temperaturen entdeckte. Supraleiter sind inzwischen aus manchen Bereichen des Lebens kaum mehr wegzudenken, ihr endgültiger Durchbruch lässt jedoch noch immer auf sich warten.

„Der Grund ist, dass die Physik bis heute nicht genau weiß, wie Supraleiter funktionieren“, berichtet Wolfgang Sandner, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) http://www.dpg-physik.de im pressetext-Interview.

Stromfluss ohne Abschwächung

Onnes kühlte damals am 8. April 1911 zunächst Quecksilber, später auch Blei und Zinn mit Hilfe von Helium auf eine Temperatur nur wenige Grad über dem absoluten Tiefpunkt von minus 273 Grad Celsius. Kurz vor dem Kälteextrem sank der Widerstand bei diesen Materialien auf Null, stellte der Forscher überrascht fest. In einem getesteten supraleitendem Bleikabel floss elektrischer Strom auch noch ein Jahr später ohne messbare Abschwächung. Erklären konnte der Physiker das Phänomen jedoch nicht.

Erst 1957 erschien in den USA die erste Theorie der Funktionsweise. Demnach verzerrt jeweils ein Elektron bei Unterschreitung einer kritischen Temperatur das positiv geladene Kristallgitter des Supraleiters, woraufhin ein weiteres Elektron angezogen wird und ein Elektronenpaar entsteht. Die Paare untereinander können sich mit allen anderen Paaren zu einem Superelektron verbinden, das sich über den gesamten Supraleiter erstreckt. Kollisionen mit Unregelmäßigkeiten im Kristallgitter, die sonst Widerstand verursachen, fallen dabei weg.

Enormes Potenzial für Erneuerbare

Trotz einiger Hinweise versteht die Physik auch nach 100 Jahren noch nicht vollständig, was in Supraleitern genau vor sich geht. Dennoch sind viele heutige Anwendungen ohne der Technik unvorstellbar, wie etwa die ultrastarken Magnetfelder von medizinischen Magnetresonanz-Tomographen oder hochempfindliche Biomagnetismus-Sensoren. Auch moderne Teilchenbeschleuniger und Prototypen künftiger Fusionsreaktoren verwenden das Prinzip, sowie die Erforschung supraleitender Quantencomputer.

Wenngleich sich Supraleiter im Alltag noch nicht durchgesetzt haben, gilt ihr noch ungenutztes Potenzial als enorm. Sandner geht davon aus, dass die gesamte Elektrotechnik des täglichen Lebens davon in ferner Zukunft profitieren könnte. „Ein Beispiel dafür sind die erneuerbaren Energien. Supraleitende Kabel könnten Strom verlustfrei von entfernten Standorten bringen, an denen etwa das Potenzial für Photovoltaik oder von Windkraft höher ist“, so der Experte. Auch die Erzeugung von Magnetfeldern könnte durch Supraleiter revolutioniert werden, was dem Elektromotor zugute käme.

Fernziel Raumtemperatur

Zukunftsmusik werden diese Pläne so lange bleiben, wie Supraleiter auf extrem tiefe Temperaturen angewiesen sind – die derzeit höchste mögliche Temperatur liegt immer noch bei minus 135 Grad Celsius. Damit eines Tages vielleicht sogar Raumtemperatur-Supraleiter möglich sind, braucht es für Sandner zwei Voraussetzungen. „Zunächst muss die Grundlagenforschung das Phänomen theoretisch genau verstehen. Abhängig davon gilt es dann, geeignete supraleitende Materialien zu finden, die Anwendungen wie etwa das Ziehen dünner Drähte erlauben.“

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Johannes Pernsteiner pressetext.redaktion

Weitere Informationen:

http://www.dpg-physik.de

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