Extrem dicht – Annäherung an einen weitgehend unverstandenen Materiezustand

Einige der Autoren vor einem Poster mit den wichtigsten Ergebnissen des neuen Konfigurations-Pfadintegral-Monte Carlo-Verfahrens, v.l.n.r. Prof. Michael Bonitz, Tim Schoof und Simon Groth. Foto: Dr. Hanno Kählert

Ein Team vom Institut für Theoretische Physik und Astrophysik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) unter der Leitung von Professor Michael Bonitz konnte aktuell neue Erkenntnisse über die sogenannte warme dichte Materie gewinnen.

Darunter versteht man in der Physik einen bislang weitgehend unverstandenen Materiezustand, der sich völlig von den auf der Erde bekannten festen, flüssigen, gasförmigen Aggregatzuständen oder Plasmen unterscheidet.

Die warme dichte Materie zeigt dabei in scheinbarem Widerspruch gleichzeitig Eigenschaften aller anderen Aggregatzustände. Die Kieler Wissenschaftler entwickelten nun ein neuartiges Simulationsverfahren, das die Ungenauigkeiten der bestehenden theoretischen Modelle, die diesen Materiezustand beschreiben, überwindet. Sie veröffentlichten ihre Forschungsergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical Review Letters.

Mit einer bis zu tausendfach höheren Dichte als gewöhnliche Festkörper ist warme dichte Materie extrem dicht. Sie existiert zum Beispiel als Folge der enormen Gravitation im Inneren von Zwergsternen. In Laborexperimenten lässt sich dieser Zustand unter dem Einfluss hochintensiver Laserstrahlung für kurze Zeiträume im Nano- bis Mikrosekundenbereich erzeugen.

Lange genug für Forschende in aller Welt, um experimentell oder in Computersimulationen Aussagen über den Materiezustand zu treffen. „Eine genaue Kenntnis der warmen dichten Materie ist der Schlüssel zur Beantwortung vieler astrophysikalischer Fragen. Sie hilft uns zum Beispiel dabei, das Alter von Galaxien zu bestimmen und ist auch für technologische Anwendungen wie etwa die Trägheitsfusion oder das Verständnis des Verhaltens von Materialien unter extremem Druck essentiell“, ordnet Bonitz die Bedeutung der Ergebnisse ein.

Bisherige theoretische Modelle konnten nur ungenaue Informationen über die Eigenschaften der warmen dichten Materie liefern. Grund dafür ist die besondere Komplexität des Zusammenspiels der Teilchen, insbesondere aber das Verhalten der beteiligten Elektronen. Sie beeinflussen sich gegenseitig stark und unterliegen zudem den Gesetzen der Quantenmechanik, so dass sie mit den bislang vorhandenen Modellen nicht zuverlässig zu beschreiben sind.

Dank der neuartigen Simulationsmethode ist es nun möglich, Ergebnisse von Experimenten besser zu verstehen und zuverlässige Vorhersagen für neue Messungen zu machen. Das Verfahren der Kieler Forschungsgruppe kommt dabei ohne die in theoretischen Modellen üblichen Vereinfachungen aus.

„Man kann es daher als ein Computerexperiment betrachten, das faktisch exakte Ergebnisse liefert“, so Bonitz weiter. Die nun an der CAU gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Verbesserung bestehender und die Entwicklung neuer numerischer Verfahren, mit denen in Zukunft eine vollständige Beschreibung der warmen dichten Materie gelingen kann.

Originalpublikation:
Schoof, T., Groth, S., Vorberger, J. and M. Bonitz (2015): Ab Initio Thermodynamic Results for the Degenerate Electron Gas at Finite Temperature, Physical Review Letters 115.
Link: http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.115.130402

Kontakt:
Prof. Michael Bonitz
Institut für Theoretische Physik und Astrophysik,
Universität Kiel
Tel.: Tel.: 0431-880-4122
E-Mail: bonitz@theo-physik.uni-kiel.de

Weitere Informationen:
Arbeitsgruppe Bonitz, Institut für Theoretische Physik und Astrophysik:
http://www.theo-physik.uni-kiel.de/~bonitz/

Details, die nur Millionstel Millimeter groß sind: Damit beschäftigt sich der Forschungsschwerpunkt „Nanowissenschaften und Oberflächenforschung“ (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Im Nanokosmos herrschen andere, nämlich quantenphysikalische Gesetze als in der makroskopischen Welt. Durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Materialwissenschaft, Chemie, Physik, Biologie, Elektrotechnik, Informatik, Lebensmitteltechnologie und verschiedenen medizinischen Fächern zielt der Schwerpunkt darauf ab, die Systeme in dieser Dimension zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsbezogen umzusetzen. Molekulare Maschinen, neuartige Sensoren, bionische Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche Therapien und vieles mehr können daraus entstehen. Mehr Informationen auf www.kinsis.uni-kiel.de

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