Dicke Luft macht Kinder krank

Die Einrichtung und Ausweitung von Umweltzonen in Deutschlands Städten wird von vielen Autofahrern mit Unverständnis aufgenommen und als Schikane kritisiert. Ein Autofahrerclub bezeichnete die zum Jahresbeginn 2010 verschärften Regeln sogar als „unverhältnismäßige Eingriffe in die Mobilität der Bevölkerung“.

Dabei bedeuten die neuen Maßnahmen einen wichtigen Schritt zum besseren Schutz der Gesundheit unserer Kinder, stellt die Stiftung Kindergesundheit fest. Es werde nämlich immer deutlicher, dass Autoabgase und die verkehrsbedingte Feinstaubbelastung am immensen Anstieg von Allergien und Atemwegserkrankungen bei Kindern Mitschuld tragen.

Verquollene Augen, ständiges Niesen, keuchender Atem, quälender Juckreiz – jeder kennt heute Menschen mit allergischen Symptomen oder ist sogar selbst davon betroffen. „An der alarmierenden Zunahme von Allergien besteht kein Zweifel mehr. Insbesondere die drei so genannten atopischen Krankheitsbilder Heuschnupfen, Neurodermitis (atopisches Ekzem) und Asthma beeinträchtigen die Lebensqualität vieler Kinder und ihrer Eltern“, sagt Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist der Münchner Universitätskinderklinik und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit.

Den Beweis lieferte die europaweit größte Kinderstudie KiGGS des Robert-Koch-Instituts Berlin, an der 17.641 Kinder und Jugendliche aus 167 Orten der Bundesrepublik gemeinsam mit ihren Eltern teilgenommen haben. Auf die Frage, ob jemals ein Arzt bei ihrem Kind eine der so genannten atopischen Erkrankungen festgestellt hatte (dazu zählen Heuschnupfen, Neurodermitis und Asthma) antworteten 22,9 Prozent der für KiGGS befragten Eltern mit „Ja“.

Die so genannte Lebenszeitprävalenz beträgt für Neurodermitis 13,1 Prozent, für Heuschnupfen 10,5 Prozent, für ein allergisches Kontaktekzem 9,5 Prozent und für Asthma 4,7 Prozent. Das bedeutet, dass fast jedes vierte Kind und Jugendliche in Deutschland irgendwann an einer dieser Krankheiten leidet. Jungen sind mit 24,3 Prozent statistisch signifikant häufiger betroffen als Mädchen. Während in der DDR Allergien bei Kindern seltener vorkamen, bestehen heute zwischen Ost- und Westdeutschland keine Unterschiede mehr: Das Allergie-Risiko hat sich auf dem ungünstigeren, hohen Westniveau eingependelt.

„Die Neigung zu Allergien wird zwar vererbt, an den Genen allein kann die rasante Zunahme aber nicht liegen, denn sie können sich nicht in einer so kurzen Zeit ändern“, sagt Professor Berthold Koletzko. „Eine wichtige Rolle spielen die Umweltbedingungen, Zivilisationsfaktoren und die Ernährung. Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass auch Schadstoffe aus der Luft zu diesen Trigger-Faktoren gehören“.
Risiko aus dem Wohnumfeld
So wurden im Auftrag der unabhängigen US-Organisation „Health Effects Institute“ über 700 weltweite Studien zum Gesundheitszustand von Kindern ausgewertet, die in der Nähe von viel befahrenen Straßen wohnen. Das kürzlich veröffentlichte Ergebnis: Schon in einer Entfernung von 300 bis 500 Metern von Hauptstraßen erreicht die verkehrsbedingte Luftbelastung gesundheitsgefährdende Ausmaße. Es sei auch erwiesen, dass Luftschadstoffe eine Asthmaerkrankung verschlimmern können.

Zu einer ähnlichen Beurteilung kommt die „Kinderumwelt“, eine gemeinnützige Gesellschaft der Akademie der Kinder- und Jugendärzte (DAKJ). In ihrem Informationsangebot ALLUM zu Allergie, Umwelt und Gesundheit(www.allum.de) heißt es: „Verschiedene Längsschnittstudien mit Asthmatikern haben ergeben, dass die Exposition mit Fein- und Feinststaub – insbesondere aus dem Straßenverkehr – mit Atemwegsbeschwerden, einer Beeinträchtigung der Lungenfunktion und mit dem Medikamentenbedarf korrelieren. In experimentellen Studien konnte nachgewiesen werden, dass Feinstaub Auswirkungen auf die Bildung von Immunglobulin E (IgE) hat. Feinstaub kann die Symptome bei Allergikern – insbesondere bei Asthmatikern und Heuschnupfenpatienten – verstärken“.

Die Stiftung Kindergesundheit führt zum Beweis Studien aus den letzten Jahren an. Die Belastung durch Schwerverkehr führt bei Kindern nicht nur zu vermehrtem Asthma und zur Überempfindlichkeit der Atemwege („bronchiale Hyperreaktivität“), sondern auch zu einer Zunahme der allergischen Sensibilisierung (Kramer et al. Epidemiology 2000;11:64-70; Wyler et al. Epidemiology 2000;11:450-6; Janssen et al. Environ Health Perspect 2003;111:1512-8). Zwar kann in diesen Studien nicht bestimmt werden, ob wirklich der Feinstaub, oder andere durch Verkehrsabgase freigesetzte Schadstoffe für diese Effekte verantwortlich sind. In Tierversuchen konnte jedoch gezeigt werden, dass eine isolierte Feinstaubbelastung die allergische Entzündung in der Bronchialschleimhaut verstärkt (Takano et al, Am J Respir Crit Care Med 1997;156:36-42). Beim Menschen kommt es zudem durch starke alleinige Exposition mit Dieselabgasen – sie sind die Hauptquelle von verkehrsbedingtem Feinstaub – zu vermehrter allergischer Entzündung (Stenfors et al. Eur Resp J 2004;23: 82-6) und bei ausschließlicher Einwirkung von Feinstaub zu einer Sensibilisierung der Atemwegsschleimhaut auf neue Allergene (Diaz-Sanchez et al, J Allergy Clin Immunol 1999;104:1183-8).

3 000 Münchner Kinder untersucht
Einen weiteren Beleg lieferte eine Studie an mehreren tausend Münchener Kindern, veröffentlicht im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, Bd.177, S.1331 (2008). Das Forscherteam um Dr. Joachim Heinrich vom Institut für Epidemiologie des Helmholtz-Zentrums München verglich die Daten von 3061 sechsjährigen Kindern aus München und Umgebung, deren Entwicklung im Rahmen der – von der Stiftung Kindergesundheit unterstützten – GINI- und LISA-Studien seit ihrer Geburt verfolgt wird.

Mit Hilfe von Rechenmodellen konnten die Wissenschaftler individuelle Werte der Belastung der Kinder durch Feinstaub und Stickstoffdioxid abschätzen. Es zeigte sich, dass eine steigende Feinstaub-Exposition zu einer Zunahme der asthmatischen Bronchitis sowie der Sensibilisierung gegenüber Pollen und anderen häufigen Allergenen führt. Eine erhöhte Stickoxid-Belastung war mit der Zunahme von Ekzemen verknüpft.

Besonders deutlich waren die Zusammenhänge zwischen dem Wohnumfeld und dem Auftreten von asthmatischer Bronchitis, Heuschnupfen, Ekzemen sowie allergischer Sensibilisierung: Kinder, die weniger als 50 Meter von einer viel befahrenen Hauptstraße entfernt wohnten, hatten im Vergleich zu weiter abseits wohnenden Altersgenossen ein um bis zu 50 Prozent höheres Risiko für diese Erkrankungen! Mit steigendem Abstand zur Hauptstraße wurde das Allergierisiko immer geringer.

Eine mögliche Erklärung dafür, dass die dicke Luft nicht nur das Risiko für Asthma und Bronchitis erhöht, sondern auch zu Heuschnupfen und Neurodermitis führen kann, liegt in der Tatsache, dass Feinstaub sich an Pollen anheften und deren allergene Wirkung dadurch verstärken kann.

Feinstaub – eine unterschätztes Problem
In Gegenden mit erhöhter Feinstaubbelastung besteht ein generell erhöhtes Sterberisiko für Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie für Lungenkrebs, stellt die Stiftung Kindergesundheit in ihrer aktuellen Stellungnahme fest. Die Lungenfunktion und das Lungenwachstum von Kindern werden beeinträchtigt. Wenn sich die Luftqualität verbessert, leiden die Kinder nicht nur seltener unter Bronchitis, sondern auch das Risiko von Mittelohrentzündungen, häufigen Erkältungen und fieberhaften Infekten wird geringer.

Professor Berthold Koletzko fasst zusammen: „Es wird mehr und mehr deutlich, dass es sich bei der Feinstaubbelastung um ein besonders ernstes Gesundheitsproblem handelt. Es scheint in seiner Größenordnung sogar bedeutender zu sein als viele anderen umweltmedizinischen Probleme, schon deshalb, weil sehr viele Kinder und Erwachsene davon betroffen sind. Anstatt an der Einrichtung von Umweltzonen herumzunörgeln sollten wir aktiv an der Verminderung dieser Gefahren mitarbeiten, um die Chancen für unsere Kinder, gesund heranzuwachsen, nachhaltig zu verbessern“.

Bitte helfen Sie uns
Fördern auch Sie die Gesundheit unserer Kinder durch Ihre Spende, die in voller Höhe den Projekten der Stiftung Kindergesundheit zugute kommt. Mit einem Beitritt zum Freundeskreis der Stiftung Kindergesundheit können Sie die Arbeit der Stiftung regelmäßig fördern. Mehr Informationen hierzu finden Sie unter: www.kindergesundheit.de
Spendenkonto Nr.: 520 55 520,
HypoVereinsbank München, BLZ: 700 202 70

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Hildegard Debertin Stiftung Kindergesundheit

Weitere Informationen:

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