So kommunizieren Nervenzellen miteinander

Organisatoren der Informationsübertragung zwischen Nervenzellen identifiziert

Das menschliche Gehirn ist ein Organ enormer Komplexität. Es enthält Milliarden Nervenzellen, von denen jede Zelle an durchschnittlich 1.000 Kontaktstellen mit anderen verknüpft ist. Der Informationsfluss über diese Kontaktstellen stellt die Grundlage allen normalen und krankhaften Verhaltens dar. Göttinger Forscher haben nun entdeckt, wie Nervenzellen die schnelle und exakte Informationsübertragung untereinander verändern können. Die Arbeit aus dem Bereich der biomedizinischen Grundlagenforschung trägt zum Verständnis des Zusammenhangs von Struktur und Funktion neuronaler Verknüpfungen bei und wurde jetzt in der Zeitschrift „nature“ (Vol 423, pp 939-948, 26.06.2003) veröffentlicht.

Nervenzellen – auch Neurone genannt – leiten Signale an ihren langen Fortsätzen, den Axonen, in Form von elektrischen Spannungsveränderungen weiter. An den Kontaktstellen zwischen zwei Nervenzellen ist die elektrische Weiterleitung unterbrochen. Die Membranen der vorgeschalteten und nachgeschalteten Zelle liegen dicht aneinander und ein nur sehr schmaler Spalt trennt die beiden. An diesen Strukturen – den „Synapsen“ – erfolgt die Signalübertragung zwischen den Zellen.

„Jede Nervenzelle bildet eine Vielzahl synaptischer Kontakte mit ihren unterschiedlichen Partnerzellen. Damit die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen Sinn ergibt, müssen die Eigenschaften der synaptischen Terminale den nachgeschalteten Nervenzellen angepasst werden,“ sagt Dr. Markus Missler, Abt. Neuro- und Sinnesphysiologie, Bereich Humanmedizin. Dem Mechanismus dieser Regulation sind er und seine Kollegen Astrid Rohlmann und Weiqi Zhang vom Sonderforschungsbereich 406 der Universität Göttingen -Bereich Humanmedizin, in Zusammenarbeit mit Gunnar Kattenstroth und Kurt Gottmann von der Ruhr-Universität Bochum, und Thomas C. Südhof vom Howard Hughes Medical Institute in Dallas (USA) auf die Spur gekommen.

Die Wissenschaftler untersuchten Mäuse, in denen Neurexine – eine bestimmte Klasse von Zelladhäsionsmolekülen – defekt sind. Zelladhäsionsmoleküle sind Proteine in der Zellmembran, denen bisher hauptsächlich strukturelle Aufgaben zugeschrieben wurden. Neurexine werden in die synaptische Membran der vorgeschalteten Zelle eingelagert, wo sie mit anderen Proteinen wechselwirken und zudem Proteine in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennen können. Es wurde festgestellt, dass in Mäusen mit defekten Neurexinen die Struktur von Synapsen relativ normal, die Übertragung von Nervenimpulsen überraschenderweise jedoch massiv gestört war. Ein so deutlicher Einfluss von neuronalen Zelloberflächenmolekülen auf die Funktion der Synapse wurde hier erstmalig beobachtet, was zur Veröffentlichung der Ergebnisse in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature beitrug. Aber wie beeinflussen Neurexine die Signalübertragung zwischen den Neuronen?

Es wird schon lange vermutet – konnte aber noch nie in einem Tiermodell nachgewiesen werden – dass Kalziumkanäle bei der Informationsübertragung an Synapsen eine entscheidende Rolle spielen. Die Spannungsveränderung in der präsynaptischen Membran führt nach gegenwärtiger Vorstellung zur Öffnung von Kanälen in dieser Membran, die nur für Kalziumionen durchlässig sind. Der nachfolgende Anstieg der Kalziumkonzentration löst dann einen Prozess aus, der zur Signalübertragung an die nachgeschaltete Zelle führt. Durch verschiedene Untersuchungen konnten die Wissenschaftler den Angriffspunkt der Neurexine in den Mechanismus der Signalübertragung so weit einengen, bis schließlich feststand: Neurexine sind im synaptischen Spalt lokalisiert und beeinflussen die Aktivität der Kalziumkanäle und damit letztlich die Effizienz der neuronalen Informationsübertragung.

Die Forscher sind so der Lösung des Problems nähergekommen wie die Stärke und Dynamik der Signalübertragung an der Vielzahl von Synapsen zwischen den unterschiedlichsten Nervenzellen aufeinander abgestimmt werden. Die untersuchte Klasse von Zelladhäsionsproteinen, die Neurexine, könnte den Kontakt zwischen den Nervenzellen vermitteln und die Eigenschaften der Informationsübertragung durch ihren Einfluss auf die Kalziumkanäle verändern. Hinzu kommt, dass Neurexine in einer Vielzahl leicht verschiedener Varianten auftreten, welche der Erkennung unterschiedlicher Partnerzellen dienen könnten. Sie bilden somit eine molekulare Schnittstelle, an der Neurone die Eigenschaften der neuronalen Signalübertragung auf die Struktur ihrer Verbindungen untereinander anpassen.

Die Forschungsarbeiten sind an drei Stellen durchgeführt worden: Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB 406 an der Universität Göttingen im Bereich Humanmedizin, dem Lehrstuhl Zellphysiologie der Universität Bochum and an der University of Texas Southwestern Medical Center, Dallas (USA). Dr. Markus Missler ist gegenwärtig Mitglied des DFG Forschungszentrums Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB).

Weitere Informationen:

Georg-August-Universität Göttingen – Bereich Humanmedizin
Dr. Markus Missler
Abt. Neuro- und Sinnesphysiologie
Humboldtallee 23
37073 Göttingen
email: mmissle1@gwdg.de
Tel: + 0551 / 39-12807

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Rita Wilp idw

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