Kleine Teilchen – große Wirkung

In vielen Bereichen der Technik – angefangen von der Mikroelektronik bis hin zum Automobilbau – wird das Innovationstempo in entscheidendem Maße auch von der Verfügbarkeit verbesserter Werkstoffe bestimmt. Eine Antwort auf die vielfältigen Herausforderung liefern winzige Siliconpartikel. Auf der Basis einer von WACKER entwickelten Technologie sind diese in der Lage, einer Reihe von Materialien die geforderten Tugenden buchstäblich einzuimpfen.

In einer wachsenden Anzahl von Anwendungen werden Werkstoffen, Lacken oder Klebstoffen immer neue Tugenden abverlangt. So sollen diese Materialien beispielsweise großer Hitze und klirrender Kälte ebenso trotzen wie mechanischem Stress, ätzenden Chemikalien oder gar Steinschlägen. Die Anwender würden den Entwicklern dieser Materialien ihre Erwartungen und Wünsche allzu gerne in die Pflichtenhefte diktieren – doch nicht selten stoßen die gewachsenen Ansprüche auf natürliche Grenzen. Hürden also, die sich – wenn überhaupt – nur mit einem technologischen Quantensprung überwinden lassen.

Eine solche Option bietet der Einsatz so genannter nanoskaliger Siliconpartikel von WACKER. Ein Nanometer ist der Millionste Teil eines Millimeters, und die von WACKER hergestellten Siliconpartikel weisen typischerweise Durchmesser auf, die sich zwischen zehn und mehreren 100 Nanometern bewegen. Das sind Dimensionen, in denen die Gesetze der „Alltagsphysik“ scheinbar außer Kraft gesetzt sind, weil viele der uns vertrauten Materialeigenschaften von der Partikelgröße abhängen. Materialien aus solchen Nanoteilchen besitzen daher häufig andere Eigenschaften als die „klassische“ Materie, obwohl sie aus den gleichen Bausteinen bestehen. So ändern sich beim Verkleinern oftmals sprunghaft die mechanischen, optischen und chemischen Eigenschaften – auch Härte und Schmelzpunkt können oftmals deutlich variieren. Einen futuristischen Vorgeschmack auf die vielfältigen Möglichkeiten der Nanotechnologie lieferte übrigens der Hollywood-Thriller „Die phantastische Reise“ aus dem Jahre 1966, in dem ein miniaturisiertes U-Boot in die Blutbahn eines Menschen injiziert wurde.

Patentierte Technologie ermöglicht Quantensprung

Mit Hilfe eines patentierten Verfahrens ist es WACKER gelungen, einen ebenso einfachen wie eleganten Zugang zu nanoskaligen Siliconen zu erreichen. Der besondere „Charme“ des Verfahrens basiert darauf, dass Siliconen wiederum eine große Variabilität von Eigenschaften einverleibt werden kann. Somit stellen nanoskalige Silicone eine völlig neue Plattform für innovative Materialien mit hochdifferenzierten Produkteigenschaften und einer großen Anwendungsvielfalt dar. Das Spektrum der von WACKER hergestellten Systeme erstreckt sich von elastomeren bis hin zu hochvernetzten Partikeln und schließt auch hybride „Core-Shell“-Materialien mit ein, die eine organische Hülle um den Siliconkern aufweisen und eine besonders flexible Einstellung der Endeigenschaften gestatten.

Obwohl es sich um „Nanopartikel“ handelt, bemerkt der Anwender bis zum Einsatz überhaupt nichts davon und benötigt deswegen auch keine aufwändigen Techniken und Sicherheitsvorkehrungen – wie sie zum Beispiel für den Umgang mit feinsten Stäuben unerlässlich sind. „Die Partikel liegen in einer speziellen Kompaktierung vor und zerfallen erst in der Anwendungen zu Nanopartikeln“, verdeutlicht Dr. Jochen Ebenhoch, Projektleiter bei WACKER SILICONES. Damit handele es sich auch um eine besonders kundenfreundliche Anwendung von Nanopartikeln.

„Bleifrei“ – nicht nur beim Benzin

Inwieweit die von WACKER entwickelten Systeme Vorteile gegenüber den herkömmlichen bieten, veranschaulicht ein aktuelles Beispiel aus der Elektronikindustrie. So haben sich die führenden Bauelementehersteller kürzlich auf einen Rahmen hinsichtlich des bleifreien Lötens verständigt. Der internationalen Roadmap zufolge soll die Umstellung bis Ende 2004 erfolgt sein. An Lötprozessen geht in der Halbleiterindustrie kein Weg vorbei – das betrifft Handy-Platinen ebenso wie die Baugruppen von Hochleistungsrechnern. Dass bei der Vielzahl von Anwendungen und den daraus resultierenden Mengen der Verzicht auf das toxische Metall Blei durchaus ökologisch sinnvoll ist, steht außer Diskussion.

Einziges Problem: Ein Bleizusatz erniedrigt den Schmelzpunkt von Lötmetallen und sorgte bisher dafür, dass die Temperaturbelastung nicht über +230 °C stieg. Das „bleifreie Löten“ erfordert dagegen Temperaturen von + 250 bis + 260 °C. Das ist ein Bereich, dem traditionelle Kunststoffe, die unter anderem in Epoxidpressmassen, Elektronikklebstoffen und Lötstopplacken zum Einsatz gelangen, nicht mehr gewachsen sind. Derartige Lacksysteme werden gewöhnlich im Siebdruck oder mittels eines Gießvorhanges auf die Leiterplatte aufgebracht. Genau an dieser Stelle kommen die herausragenden Vorteile hybrider „Core-Shell“-Materialien zum Tragen. Diese bestehen in diesem Fall aus einem elastomeren Silicon-Kern und einem hitzebeständigen Mantel aus einem polymeren Acrylat. Durch diesen Kunstgriff sind die zu modifizierenden Kunststoffe – nach Einbau der Partikel – den harschen Bedingungen des bleifreien Lötens gewachsen. Auch Basismaterialien zur Herstellung von Leiterplatten für den herkömmlichen einschichtigen Aufbau sowie so genannte „build-up Materialien“ für die Multilayer-Technik können mit Hilfe der „Core-Shell Technik“ in ihren Rissbeständigkeiten verbessert werden.

Vielseitige Herausforderungen im Bereich der Automobilindustrie

Aus dem Bereich der Automobilindustrie sind die gewachsenen Anforderungen besonders vielfältig. Zum einen sucht die Branche ständig nach verbesserten Materialien, die zum Beispiel im Rahmen von Lackierprozessen wie der kathodischen Tauchlackierung über eine höhere Temperaturfestigkeit verfügen müssen. Daneben gibt es eine Reihe von weiteren Anforderungen, die sich in ihrer Gesamtheit mit herkömmlichen Materialien nicht realisieren lassen.

So steht – wenn es sich zum Beispiel um einen Pulverlack handelt – eine hohe Steinschlagfestigkeit in Kombination mit Glanz und Transparenz bei den geforderten Eigenschaften auf der Wunschliste ganz weit oben. Dies ist eine Anforderung, die sich auch mit herkömmlichen Formulierungen erzielen lässt. Probleme treten aber dann auf, wenn zusätzliche Eigenschaften wie „hohe Bewitterungsfestigkeit“, „Chemikalienresistenz“ und „Zähigkeit bei tiefen Temperaturen“ zugleich gefordert sind.

Bisher war es mit herkömmlichen Materialien nicht möglich gewesen, sämtliche für Außenanwendungen bedeutsame Parameter gleichzeitig zu optimieren. „Wenn man zum Beispiel versucht, die Bewitterungsstabilität und die Transparenz zu erhöhen, dann mussten bisher Abstriche hinsichtlich der Tieftemperatur-Zähigkeit hingenommen werden“, verdeutlicht Dr. Ebenhoch den Zielkonflikt. Auf diesem Gebiet könnten die von WACKER entwickelten Systeme mit vielversprechenden Resultaten aufwarten. Dies gelte insbesondere für die erwünschte Verbesserung der Abriebbeständigkeit und der Kratzfestigkeit von Lacken.

Die ausgewählten Beispiele verdeutlichen das in den nanoskaligen Siliconen steckende Potenzial. Als Unternehmen ist WACKER in der Lage, für eine Vielzahl von Anwendungen in unterschiedlichen Branchen kundenspezifische Lösungen anbieten zu können. So hat WACKER in einem anderen Projekt bereits demonstrieren können, dass die Newcomer sich auch in Form modifizierter Kleber zum Beispiel für den Automobil- und Luftfahrtbereich eignen können. Für solche Anwendungen, aber auch für andere Bereiche, in denen eine hohe Temperaturbeständigkeit gefordert ist, werden von WACKER neue Lösungen mit speziell dafür massgeschneiderten Partikeln, unter anderem den bereits erwähnten Pulverlacken, angeboten.

Auch in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und Universitäten will WACKER die in der Technologie steckenden Möglichkeiten weiter ausloten. So wird in einem konkreten Forschungsprojekt bereits an farbstoffbeladenen Nanopartikeln auf Siliconbasis gearbeitet. Noch weiß niemand genau, welche konkreten wirtschaftlichen Potenziale einmal daraus resultieren werden. Über eines sind sich die Beteiligten heute aber bereits einig: Mit der Möglichkeit, nanoskalige Siliconpartikel in industriellen Mengen herstellen zu können, wurden viele Türen geöffnet – die „phantastische Reise“ kann also beginnen.

Media Contact

Rolf Froböse

Weitere Informationen:

http://www.wacker.com/

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

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