Automatisierung erschließt Karbonfasern neue Potenziale

Ungeachtet hervorragender Materialeigenschaften beschränkte sich der Einsatzbereich von kohlefaserverstärkten Kunststoffen (CFKs) aus wirtschaftlichen Gründen bisher vorwiegend auf Spezialanwendungen im High-Tech-Bereich wie beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt. Ein entscheidender Kostenfaktor bei der Herstellung von CFK-Strukturen ist der geringe Automatisierungsgrad des Herstellungsprozesses, da die geringe Steifigkeit von Karbonfasermatten den Einsatz von Industrierobotern im Wege steht. Mit Hilfe eines neuartigen Bindemittelsystems ist es nun möglich, Fertigungsprozesse so zu gestalten, dass sich CFK-Bauteile im Automobilsektor betriebswirtschaftlich rechnen.

Mit einer Gewichtsersparnis von rund 30 Prozent im Vergleich zu Aluminium und 50 Prozent gegenüber Stahl gehören CFKs zu den leichtesten Konstruktionswerkstoffen überhaupt. So konnten die “Leichtgewichte” bisher vorrangig Bereiche erobern, wo sich jedes Kilogramm Gewichtsersparnis buchstäblich bezahlt macht. Komponenten für die Raumfahrt gehören ebenso dazu wie Bauteile für Flugzeuge und Rennwagen.

Die Gewichtsreduktion ist aber nicht die einzige Stärke der CFKs. Vielmehr sind diese in der Lage, die Festigkeit und Steifigkeit von Bauteilen einerseits deutlich zu erhöhen, mechanischen Schwingungen zugleich aber einen gehörigen “Dämpfer” zu verleihen. Der Wunsch, das im Bereich der Spezialmärkte erworbene Know-how beispielsweise auf Serienfahrzeuge zu übertragen, scheiterte bisher am hohen Preis für CFK-Bauteile.

“Die Herstellungskosten von CFK-Komponenten schlagen allein mit 55 Prozent zu Buche”, zieht Dr. Thomas Lehmann, Product Development Manager bei WACKER SPECIALTIES, Bilanz. Grund dafür ist der geringe Automatisierungsgrad der CFK-Technologie. Im so genannten Resin-Transfer-Verfahren (RTM) müssen die für die Herstellung von CFK-Strukturteilen erforderlichen Kohlefasermatten wegen ihrer geringen Steifigkeit vor dem Pressen manuell übereinander gestapelt werden. Erst dann können die Matten mit flüssigem Harz versehen und in der Form ausgehärtet werden.

Produktivität wird verdoppelt

Anwendungstechniker bei WACKER fanden nun eine Möglichkeit, wie sich die Taktzeiten in den Pressen drastisch beschleunigen lassen. Schlüssel zum Erfolg war das Bindemittelsystem VINNEX®. Kern der neuen Bindemittelgeneration ist ein thermoplastisches und zugleich selbstvernetzendes Polymer. Nach dem Ansintern der Pulverkörnchen bei 170 °C und einem nachfolgenden Vorwärmschritt wird nach der Ausformung der Matten im kalten Presswerkzeug eine Kohlefaser-Preform erhalten. Diese Preforms verfügen – dank des VINNEX-Bindemittelsystems – über eine ausreichende Steifigkeit, um sie mit Hilfe von Industrierobotern in das formgebende Werkzeug einzulegen und im RTM-Prozess weiter zu verarbeiten. Zusammen mit der hohen Reaktionsgeschwindigkeit bei der Selbstvernetzung trägt die Automatisierung entscheidend zur Verkürzung der Taktzeiten bei. Auch wenn sich die Wirtschaftlichkeit noch nicht in Euro und Cent kalkulieren lässt, rechnen Experten wie Dr. Lehmann in Abhängigkeit von der Komplexität der Strukturen mit einer annähernden Verdoppelung der Produktivität.

Mit VINNEX® gehärtete Preforms zeichnen sich nicht nur durch geringere Herstellungskosten, sondern auch durch eine Reihe von verbesserten Materialeigenschaften aus. So lassen sich mit dem Bindesystem beschichtete Gelege und Gewebe problemlos zuschneiden und weiterverarbeiten. Ein besonderer Vorteil von VINNEX® tritt erst unter dem Mikroskop zutage. So werden punktuelle Bindungen überall dort geschaffen, wo sich Fasern treffen oder überschneiden. Makroskopisch wirken sich derartige Punktverbindungen in einer erhöhten Stabilität und einer drastisch verringerten Neigung zur Materialermüdung aus.

Die größten Potenziale für neuartige CFK-Anwendungen sieht WACKER vorrangig im Automobilsektor, wo sich das niedrige Gewicht von CFK-Strukturen unter anderem in einem verringerten Treibstoffverbrauch niederschlägt. Werden höher liegende Bauteile wie etwa das Autodach aus CFK gefertigt, lässt sich darüber hinaus der Schwerpunkt des Fahrzeugs nach unten verlagern, was wiederum zu einer verbesserten Straßenlage führt. “Die hohe Steifigkeit der Fasern macht sich wiederum in einer besseren Kraftübertragung bemerkbar”, ergänzt Dr. Lehmann. Last not least sprechen auch ökologische Gründe für den Einsatz des Spezialbinders. Da dieser keine niedermolekularen Bestandteile enthält, werden im Innenraum des Automobils auch keine gesundheitsschädlichen Substanzen freigesetzt.

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Rolf Froböse

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