Vererbte Vergiftung: Forscher weisen erbgutverändernde Wirkung von Methoxychlor bei Ratten nach

In Europa wurde Methoxychlor bis 2002 als Insektizid eingesetzt. (Bildquelle: © iStock.com/simazoran)

Die in der Landwirtschaft eingesetzten Pflanzenschutzmittel werden vor ihrer Anwendung auf ihre Unbedenklichkeit getestet. Doch manchmal reicht der Blick auf die nahe Zukunft nicht aus: In einer neuen Studie konnten Wissenschaftler nachweisen, dass das Insektizid Methoxychlor, das bis 2002 auch in Europa eingesetzt wurde, bei Ratten noch in der Urenkelgeneration bestimmte Erkrankungen hervorrufen kann.

Einige dieser Krankheiten wie Fruchtbarkeitsstörungen und Fettleibigkeit sind auch beim Menschen in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden. Die Forscher vermuten einen Zusammenhang zwischen der Ausbringung von Methoxychlor und der Entstehung dieser Erkrankungen.

Methoxychlor in der Umwelt

Der Stoff Methoxychlor wurde 1945 in den USA entwickelt und Jahrzehnte lang als Ersatz für DDT verwendet. In Europa wurde es bis 2002 als Insektizid eingesetzt. Methoxychlor ist schlecht in Wasser löslich, daher wird es mit einer Flüssigkeit auf Erdölbasis gemischt und auf die Pflanzen gesprüht. Der Stoff lagert sich im Boden und im Sediment von Gewässern ab, wird von Organismen aufgenommen und gelangt so in die Nahrungskette. Der Abbau von Methoxychlor in der Umwelt dauert mehrere Monate. Es wurde 2002 in der EU wegen seiner neurotoxischen Wirkung und seiner negativen Effekte auf das Hormonsystem verboten.

Nierenkrankheiten und Fettleibigkeit

Um herauszufinden, in welcher Weise Methoxychlor in den Organismus eingreift, setzten die Forscher trächtige Ratten einer in der Umwelt vorkommenden Dosis von 200 mg pro kg Lebendgewicht aus. Diese Menge entsprach 4 Prozent der tödlichen (letalen) Dosis für Ratten. Die Ratten wurden dem Gift in einer sensiblen Phase ausgesetzt: Genau zu dem Zeitpunkt, wenn sich im Fötus die Geschlechtszellen entwickeln (Trächtigkeitstag 8 bis 14). Nach der Behandlung mit dem Insektizid zeigten die Ratten keine akuten Vergiftungserscheinungen. Nach der Geburt wurden die Nachkommen (F1) dieser Ratten  miteinander gekreuzt, aber keiner erneuten Dosis mehr ausgesetzt. Die Enkelgenerationen (F2) wurden wieder gekreuzt. Bei den verschiedenen Kreuzungen wurde darauf geachtet, dass die Ratten nicht zu nah miteinander verwandt waren. Anschließend untersuchten die Wissenschaftler die F1 und die F3 (Urenkel-)Generation im Alter von 10 bis 12 Monaten.

Dabei stellten sie fest, dass sowohl Nierenerkrankungen als auch die Tendenz zur Fettleibigkeit bei männlichen und weiblichen Ratten beider Generationen deutlich zugenommen hatten. Zudem wiesen weibliche Ratten vermehrt Zysten an den Eierstöcken auf, die Anzahl befruchtungsfähiger Eizellen hatte deutlich abgenommen. Daraus zogen die Forscher den Schluss, dass das Gift das Erbgut der Ratten beeinflusst haben musste, so dass Krankheiten über Generationen hinweg weiter gegeben werden konnten.

Umprogrammiertes Erbgut
 

Bei einem genaueren Blick auf die DNA im Sperma der männlichen Ratten der F3-Generation entdeckten die Forscher spezifische Veränderungen, die in der Kontrollgruppe nicht auftraten. Der Phänotyp eines Lebewesens wird nicht nur von der Basenabfolge der DNA bestimmt, sondern auch von reversiblen Veränderungen, bezeichnet als Modifikationen (zum Beispiel DNA-Methylierungen). Diese Modifikationen werden, da sie unter bestimmten Bedingungen ebenfalls weitervererbt werden, als „epigenetischer Code“ bezeichnet. Sie wirken sich auf den Phänotyp aus, indem sie mit beeinflussen, ob ein Gen aktiviert wird oder passiv bleibt.

Bei der Ratten-DNA wurden im Schnitt 311 Veränderungen im epigenetischen Code entdeckt, welche die Forscher auf den Einfluss von Methoxychlor zurückführten. Betroffen waren auch verschiedene Genregulationsmechanismen, die bei Beeinträchtigung schon früher mit bestimmten Krankheiten in Verbindung gebracht wurden. Auch konnten die Forscher ein Methoxychlor-typisches Muster bei den Veränderungen ausmachen.

Erklärung für menschliche Erkrankungen?

Die Forscher weisen darauf hin, dass Stoffe wie Methoxychlor durchaus in der Lage sind, das Erbgut über Modifikationen so umzugestalten, dass die Folgen noch mehrere Generationen später auftreten können. Die Versuche wurden zwar mit Ratten durchgeführt, aber die Forscher halten es für durchaus möglich, dass verschiedene Krankheitsbilder wie Fettleibigkeit oder Fruchtbarkeitsstörungen, wie sie heutzutage in den Industrieländern verstärkt vorkommen, von Stoffen wie Methoxychlor mit verursacht werden könnten. Es sei daher wichtig, die generationsübergreifende Wirksamkeit dieser Stoffe zu beachten, betonen die Forscher.

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Manikkam, M. et al. Pflanzenforschung.de

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