Pharmaka aus der Kohlengrube?

Axolotl-Schwanzregeneration wird in der Gegenwart von ausreichend Gdm ausgesetzt. (c) Wiley-VCH

Im Trüben fischen kann zuweilen interessante Resultate liefern: Im sauren Wasser einer stillgelegten Kohlengrube in Kentucky (USA) entdeckten Forscher zehn bisher unbekannte mikrobielle Naturprodukte einer Streptomyces-Art, die sie jetzt in der Zeitschrift Angewandte Chemie vorstellen: Strukturell ähneln sie Geldanamycin, einer für seine Antitumorwirkung bekannten Substanz. Vier enthalten einen Cyclopentenon-Ring, ein für diese Substanzklasse ungewöhnliches Strukturmotiv.

Das Team um Khaled A. Shaaban und Jon S. Thorson vom Center for Pharmaceutical Research and Innovation der Universität von Kentucky (Lexington, USA) ist Teil einer breit angelegten neuen Initiative, die sich auf Bergbau-Umgebungen in der Appalachen-Region von Kentucky konzentriert. Ziel ist die Suche nach neuen Organismen, die bisher nicht bekannte Metaboliten produzieren – potenzielle neue Ausgangspunkte für die Wirkstoff-Entwicklung.

Im sauren Bergbauwasser der stillgelegten unterirdischen Rock-Creek-Kohlengrube im McCreary County fand das Team jetzt zehn bisher nicht bekannte Metabolite einer Streptomyces-Spezies. Es handelt sich um Verbindungen aus der Klasse der Ansamycine. Gemein ist Ansamycinen ein aromatisches Ringsystem, das durch eine lange aliphatische Kette überbrückt ist.

Als Geldanamycin (Gdm) wird eine Verbindung bezeichnet, deren aromatischer Ring aus einer Chinon-Gruppe besteht, d.h. einem Kohlenstoff-Sechsring mit zwei Doppelbindungen und zwei über eine Doppelbindung gebundenen Sauerstoffatomen. Gdm inhibiert das Heat-Shock-Protein 90 (Hsp 90), ein für Zellen überlebenswichtiges Protein. Verschiedene Gdm-Analoga sind als Antitumor-Wirkstoffe im klinischen Gebrauch.

Die Charakterisierung der neuen Verbindungen ergab, dass sechs bisher unbekannte Geldanamycin-Varianten sind. Vier weitere sind Ansamycine eines neuartigen Typus: Statt des aromatischen Rings enthalten sie eine Cyclopentenon-Gruppe, also einen Kohlenstoff-Fünfring mit einer Doppelbindung und einem über eine Doppelbindung gebundenen Sauerstoff. Nach dem County ihrer Herkunft wurden sie „McCrearamycine“ getauft.

Die Forscher spekulieren, dass Gdms Vorläuferverbindungen der McCrearamycine sein könnten. Versuche mit Gdms und Modellsubstanzen ergaben, dass sich deren Chinongruppe leicht über eine Benzilsäure-Umlagerung in ein Cyclopentenon umwandeln lässt. Dies könnte eine neue synthetische Route für die Herstellung von Cyclopentenon-Derivaten sein.

Die neuen Verbindungen sowie drei bekannte Gdm-Derivate wurden auf ihre Hsp-90-Inhibierung sowie Cytotoxizität gegen eine Krebszelllinie getestet. Beides korrelierte dabei nicht in allen Fällen. Offenbar führen kleine strukturelle Varianten zu Unterschieden bei der Aufnahme in die Zellen und/oder unterschiedlichen Cytotoxizitäts-Mechanismen. Dies gilt es mit Blick auf die Wirkstoffentwicklung genauer zu erforschen.

In Zusammenarbeit mit S. Randall Voss und dem Ambystoma Genetic Stock Center der Universität von Kentucky validierten die Forscher zudem einen neuen Test für die Aktivität von Hsp 90: Axolotl (mexikanische Schwanzlurche) sind in der Lage, verletzte Gliedmaßen zu regenerieren, dabei spielt Hsp 90 eine wichtige Rolle. In Gegenwart von Gdm in mäßiger Dosis konnten Axolotl-Embryos amputierte Schwänze nicht regenerieren. Hohe Dosen verursachten zudem Entwicklungsstörungen. Gdm ist also geeignet, um die Rolle von Hsp 90 bei Regenerationsvorgängen im Axolotl zu untersuchen, und der Test ist für die Suche nach Hsp-90-Modulatoren geeignet.

Angewandte Chemie: Presseinfo 03/2017

Autor: Jon S. Thorson, University of Kentucky (USA), http://pharmacy.uky.edu/faculty/jth238/Jon-Thorson

Link zum Originalbeitrag: http://dx.doi.org/10.1002/ange.201612447

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