Hilft eine Blutegeltherapie tatsächlich? Greifswalder Forscher testen Speichel von Egeln

In der jüngst in der internationalen, biowissenschaftlichen Online-Fachzeitschrift PLoS ONE veröffentlichten Studie von Forschenden des Zoologischen Instituts der Universität Greifswald wurde erstmals eine Quantifizierung der biologisch aktiven Speicheldrüseninhaltsstoffe vorgenommen. Dabei konnten zwanzig Speichelproteine in einer Konzentration nachgewiesen werden, die physiologische Prozesse im menschlichen Körper beeinflussen können.

Kann die Blutegeltherapie dem Menschen wirklich helfen? Subjektive Erfahrungsberichte und Aufzeichnungen von Medizinern sprechen für eine therapeutische Wirkung. Bereits im alten Ägypten wurde der der Medizinische Blutegel, Hirudo sp., eingesetzt. Der Ektoparasit saugt sich an einem warmblütigen Wirt fest, schneidet eine Wunde in die Haut und saugt Blut. Dabei gibt er die Inhaltsstoffe seiner Speicheldrüsenzellen in die Wunde ab. Diesem Vorgang wird beim Menschen therapeutische Bedeutung zugemessen. Heute wird die Blutegeltherapie von Ärzten und Heilpraktikern bei verschiedensten Befindlichkeitsstörungen, bei Thrombosen zur Vermeidung der Bildung oder gar zur Auflösung von Blutgerinnseln, bei Erkrankungen des entzündlich-rheumatischen Formenkreises zur Entzündungshemmung und zur Schmerzstillung sowie postoperativ nach Replantation abgetrennter Haut- und Körperteile zur Verbesserung der venösen Zirkulation eingesetzt.

Der Blutegel injiziert während des Saugaktes zahlreiche Speicheldrüsenproteine in die Wunde des Wirts. Es wird angenommen, dass zumindest einige Proteine für die beobachteten positiven Effekte verantwortlich sein könnten. Die meisten sind bisher unbekannt, nur von wenigen kennt man mögliche Wirkungen im Patienten. Nur von einer Einzigen, dem Thrombin-Inhibitor Hirudin, der bereits in der Medizin als Antikoagulans (Medikament zur Hemmung der Blutgerinnung) eingesetzt wird, sind bisher exakte Daten zu wirksamen Konzentrationen bekannt.

Die Greifswalder Zoologen wollten mit ihrer Untersuchung die Frage beantworten: Werden während einer Blutegeltherapie mit einem oder mehreren Tieren überhaupt genügend große Mengen an Wirkstoffen aus dem Blutegel-Speichel auf den Patienten übertragen, um physiologische Effekte auszulösen?

Um diese Frage zu beantworten, musste herausgefunden werden, wie viel Speicheldrüsensubstanz ein Blutegel speichern kann und dann während des Saugaktes überträgt. Dazu wurde zunächst die Struktur des Speicheldrüsengewebes des Tieres mikroskopisch untersucht und ein 3D-Modell von Teilen des Egelgewebes mit den interessanten einzelligen Speicheldrüsenzellen entwickelt.

So konnte festgestellt und berechnet werden: Ein Blutegel hat fast 40.000 Speicheldrüsenzellen, und das durchschnittliche Volumen einer Zelle beträgt 67.000 µm3 (das ist etwa ein 50-Tausendstel des Volumens eines Stecknadelkopfes).

Letztlich wiesen die Forscherinnen und Forscher nach, dass die Vorratsbehälter der Speicheldrüsenzellen des Egels während eines Saugaktes vollständig entleert und 1,2 mg Protein in die Wunde injiziert werden. Wenn große Anteile der injizierten Speichelproteine sich im Kreislaufsystem des Patienten verteilen, gelangen mehr als zwanzig verschiedene Speichelproteine mit Konzentrationen zwischen 3 und 236 pmol/l in den Körper.

Im Vergleich mit Hirudin, das eine deutlich hemmende Wirkung auf den Blutgerinnungsfaktor Thrombin bereits bei einer Konzentration von 1 pmol/l ausübt, kann aus diesen Daten geschlossen werden, dass es mindestens 20 weitere Inhaltsstoffe des Blutegelspeichels gibt, die beim Saugakt in möglicherweise wirksamen Konzentrationen auf den Menschen übertragen werden.

Die weiteren Forschungsarbeiten werden sich mit der Identifizierung dieser Substanzen befassen, um festzustellen, welche Zielmoleküle im menschlichen Körper durch die Egel-Speichelproteine möglicherweise erkannt und in ihrer Funktion verändert werden.

Weitere Informationen

PLoS ONE http://www.plosone.org/
Artikel „May Salivary Gland Secretory Proteins from Hematophagous Leeches (Hirudo verbana) Reach Pharmacologically Relevant Concentrations in the Vertebrate Host?”
Autoren: Sarah Lemke, Christian Müller, Elisabeth Lipke, Gabriele Uhl, Jan-Peter Hildebrandt

http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0073809?src=email20130604CNS

Zoologisches Institut der Universität Greifswald
http://www.mnf.uni-greifswald.de/institute/fr-biologie/institute-und-forschung/zool-institut-museum.html
Das Foto kann für redaktionelle Zwecke kostenlos heruntergeladen werden. Dabei ist der Bildautor zu nennen. Download:

http://www.uni-greifswald.de/informieren/pressestelle/pressefotos/pressefotos-2013/pressefotos-oktober-2013.html

Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Jan-Peter Hildebrandt
Zoologisches Institut und Museum
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