Bewusste Hirnaktivität lässt sich nicht so leicht ablenken

Wir nehmen nur einen kleinen Teil der Information, die unser Hirn verarbeitet, bewusst wahr. Was den Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Informationsverarbeitung im Gehirn ausmacht, ist bisher weitgehend ungeklärt.

Die Neurowissenschaftler Dr. Natalia Zaretskaya und Dr. Andreas Bartels vom Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen sind der Aufklärung nun einen Schritt näher gekommen.

In ihrer Arbeit, die aktuell in der Fachzeitschrift Current Biology publiziert wird, nutzten die Wissenschaftler bei ihren Experimenten mit Probanden eine visuelle Illusion, die als „binokulare Rivalität“ bekannt ist. Damit lassen sich visuelle Reize unsichtbar machen. Normalerweise sehen beide Augen das gleiche Bild. Binokulare Rivalität entsteht, wenn den Augen verschiedene Bilder gezeigt werden.

Dann kann sich das Gehirn zwischen den Alternativen nicht entscheiden, und unsere Wahrnehmung wechselt im Zeitraum von mehreren Sekunden zwischen dem einen und dem anderen Bild ab. Die beiden Bilder sind dann „Rivalen“ im Zugang zum Bewusstsein.

Diesen Ansatz nutzten die Wissenschaftler, um Wahrnehmungswechsel zwischen einem sich bewegenden visuellen Reiz und einem statischen Bild im Bewusstsein der Versuchsteilnehmer herbeizuführen. Gleichzeitig setzten sie Magnetimpulse ein, um gezielt die Vorgänge in einem Hirn-areal zu stören, das spezifisch für die Verarbeitung visueller Bewegung verantwortlich ist. „Das Ergebnis hatten wir nicht erwartet: Die Magnetimpulse im Bewegungsareal hatten keinen Einfluss auf die Wahrnehmungsdauer des bewegten Reizes. Stattdessen verlängerte sich die Wahrnehmungsdauer des statischen Bildes“, berichtet Natalia Zaretskaya.

Während der Phasen, in denen der bewegte Reiz unbewusst verarbeitet wurde, hinderten die Störimpulse im Bewegungsareal den Bewegungsreiz daran, ins Bewusstsein zu gelangen. Dagegen hatten die störenden Magnetimpulse aber keinen Effekt, während der bewegte Reiz bewusst verarbeitet wurde.

„Dieses Ergebnis zeigt, dass es einen beträchtlichen Unterschied zwischen der bewussten und der unbewussten Bewegungsverarbeitung im Hirn gibt“, sagt Andreas Bartels. Eine Bewegung, die unbewusst bleibt, kann in ihrer neuronalen Verarbeitung leicht gestört werden. Sie hat Schwierigkeiten, im Wettbewerb gegen ein rivalisierendes Bild die Oberhand zu gewinnen. Aber sobald der Bewegungsreiz das Bewusstsein erreicht, wird seine Verarbeitung offenbar widerstandsfähiger gegenüber äußeren Störeinflüssen. Eine Eigenschaft der bewussten neuronalen Verarbeitung scheint daher eine stabilere und weniger störungsanfällige Repräsentation der Reize zu sein. Das werfe die Frage auf, wie diese neuronale Stabilität erreicht wird, so die Wissenschaftler.

Originalpublikation:
Natalia Zaretskaya and Andreas Bartels: Perceptual effects of stimulating V5/hMT+ during binocular rivalry are state-specific. Current Biology, 21. Oktober 2013.
Kontakt:
Universität Tübingen
Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Vision and Cognition Junior Research Group
Dr. Andreas Bartels
Telefon +49 7071 29- 89168
andreas.bartels[at]cin.uni-tuebingen.de
www.cin.uni-tuebingen.de/research/bartels.php
Dr. Natalia Zaretskaya
Telefon: +49 7071 29-89032
natalia.zaretskaya[at]cin.uni-tuebingen.de

Media Contact

Dr. Karl Guido Rijkhoek idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-tuebingen.de

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