Optogenetik enthüllt Schaltkreise im Gehirn

Angefärbte Koniozellen im Corpus geniculatum laterale (grün) Carsten Klein / Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik

Wie die einzelnen Schaltkreise in den stark verzweigten Netzwerken des Gehirns funktionieren, liegt bisher noch weitgehend im Dunkeln. Sie sichtbar zu machen ist kompliziert und erfordert sehr feinfühlige Messmethoden.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen haben zusammen mit Forschern des Ernst Strüngmann Instituts in Frankfurt und der Universität Newcastle in England erstmals eine neuronale Verbindung im Sehsystem von Affen mit optogenetischen Methoden nachgewiesen. Hierzu wurden einzelne Nervenzellen genetisch so verändert, dass sie auf einen Lichtreiz hin aktiv wurden.

Bisher war die Mikrostimulation das Mittel der Wahl, um einzelne Nervenzellen zu aktivieren – die Methode erwies sich als verlässlich und genau. Sie wird auch medizinisch etwa im Rahmen der Tiefenhirnstimulation eingesetzt. Die Tübinger Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass auch die noch in den Kinderschuhen steckende Optogenetik zu vergleichbaren Resultaten führt.

Durch die Optogenetik ist es möglich, die Aktivität von Nervenzellen mit Licht direkt zu beeinflussen. Hierzu werden einzelne Neurone mit Hilfe von Viren genetisch so verändert, dass sie einen lichtempfindlichen Ionenkanal in ihre Zellmembran einbauen. Durch blaue Lichtpulse können die veränderten Nervenzellen dann gezielt aktiviert werden.

Den Zellen beim Sehen zuschauen

Die Forscher haben mit der Methode das Sehsystem von Makaken untersucht. „Das Gehirn dieser nicht-menschlichen Primaten ist dem des Menschen sehr ähnlich. Sie haben dieselbe Organisation der Hirnrinde wie wir und sind deshalb für die Hirnforschung unverzichtbar“, erklärt Nikos Logothetis, Direktor der Abteilung „Physiologie kognitiver Prozesse“ am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. So sind Primaten die einzigen Tiere, die ebenfalls über die sogenannten Koniozellen und über eine hochkomplexe visuelle Verarbeitung verfügen.

Signale, die im Auge eintreffen, werden über das Corpus geniculatum laterale in das Großhirn weitergeleitet – diese Schaltstelle ist die direkte Verbindung zwischen Netzhaut und der primären Sehrinde. Wie beim Menschen besteht sie bei Affen aus sechs Schichten, die Magno-, Parvo- und Koniozellen enthalten. Magnozellen verarbeiten Signale, die Kontrast und Bewegungsinformationen enthalten, während Parvozellen wichtig für das Farbsehen sind. Die Funktion der Koniozellen ist noch kaum verstanden, da sie durch ihre Lage innerhalb des Corpus geniculatum schwierig zu untersuchen sind. Die Forscher konnten nun mit Hilfe optogenetischer Stimulation nachweisen, dass die Koniozellen mit der primären Sehrinde verbunden sind.

„Wir haben diesen Schaltkreis im Sehsystem auch deshalb untersucht, weil er ein abgegrenztes System darstellt und durch die verschiedenen Zelltypen sehr klar organisiert ist“, erklärt Carsten Klein vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Die Studie liefert neben Erkenntnissen zum Aufbau des visuellen Systems auch methodische Erkenntnisse, die für die medizinische Anwendung der Tiefenhirnstimulation und der Optogenetik relevant sein könnten.

Vorteile der Optogenetik – Ausschalten einzelner Nervenzellen

Die optogenetische Steuerung der Nervenzellen funktioniert noch genauer als die Mikrostimulation und hat zudem einen Vorteil: Zellen lassen sich nicht nur aktivieren, sondern auch ausschalten. Fällt eine Zelle aus einem System aus, lässt sich anschließend sehr gut sagen, welche Funktion sie innehatte. Dazu wird statt einem aktivierenden Protein ein hemmendes Protein in die Nervenzellen geschleust. Wird es mit einem Lichtpuls angeregt, unterdrückt es die Aktivität der Zellen.

Durch Optogenetik kann die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Zellen also viel genauer untersucht werden. Michael Schmid von der Universität Newcastle, der die Idee zu der Studie hatte, sieht Potenzial in der Optogenetik: „Die Methode ist sehr interessant für uns. Wenn sie weiter verfeinert wird, könnten wir komplexere Schaltkreise und einzelne Bausteine im Gehirn sichtbar machen und kartieren.“

Originalpublikation:

Carsten Klein, Henry C. Evrard, Katharine A. Shapcott, Silke Haverkamp, Nikos K. Logothetis, Michael C. Schmid; Cell-Targeted Optogenetics and Electrical Microstimulation Reveal the Primate Koniocellular Projection to Supra-granular Visual Cortex; Neuron, 2016

DOI: 10.1016/j.neuron.2016.02.036

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Das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik forscht an der Aufklärung von kognitiven Prozessen auf experimentellem, theoretischem und methodischem Gebiet. Es beschäftigt rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 40 Ländern und hat seinen Sitz auf dem Max-Planck-Campus in Tübingen. Das MPI für biologische Kybernetik ist eines der 82 Institute und Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

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