Fliegenart trägt Spuren eines evolutionären „Hypes“ in den Genen

In einer neuen Studie der Vetmeduni Vienna fand ein Forschungsteam deutliche Hinweise darauf, dass sich in ihrem Genom ein sehr junger Evolutionsprozess spiegelt. Die Daten stammen aus der ersten vollständigen Sequenzierung eines Tiergenoms, die an der Vetmeduni Vienna durchgeführt wurde. Die Studie wurde in der renommierten Zeitschrift „Genome Research“ veröffentlicht.

Die Fruchtfliegenart Drosophila mauritiana lebt nur auf der Insel Mauritius. Deshalb ist sie für die Untersuchung von genetischen Evolutionsprozessen besonders interessant. Sie ist eng mit der weltweit verbreiteten Fruchtfliege Drosophila melanogaster verwandt, deren Genomsequenz schon länger bekannt ist. Die Schwesterart auf Mauritius hat jedoch einige genetische Besonderheiten. Viola Nolte, Mitarbeiterin im Forschungsteam von Christian Schlötterer am Institut für Populationsgenetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni Vienna), hat nun die komplette Gensequenz dieser Inselbewohner veröffentlicht. Allein schon diese neuen Daten werden für alle Forscher eine große Hilfe sein, die wissen wollen, wie einzelne Gene und ganze Genome funktionieren.

Vielfalt wider Erwarten

Doch Noltes aktuelle Studie geht noch einige Schritte weiter. Schlötterers Team hatte erst jüngst neuartige Techniken entwickelt, um die genetische Vielfalt in Populationen zu messen. Mit diesen neuen Methoden fand Nolte nun Erstaunliches heraus. Bisher vermuteten Forscher nämlich, dass das Inselleben bei den Fruchtfliegen auf Mauritius zu einer Abnahme der genetischen Vielfalt geführt habe. Doch offenbar gilt das genaue Gegenteil: Das Genom von Drosophila mauritiana weist eine hohe Variabilität auf, und das über alle Chromosomen hinweg.

„Sweeps“ verringern Genvielfalt

Diese große genetische Vielfalt ist im Fliegengenom aber nicht gleichmäßig verteilt. Mitten in den hoch variablen Abschnitten fanden Nolte und ihre Kollegen zwei Bereiche, in denen diese Variabilität dramatisch verringert ist. Die Forschenden nennen diese Abschnitte „Variabilitätstäler“. Sie vermuten, dass diese Muster auf eine ganz spezielle Weise entstehen: Wenn eine neue Genmutation einen großen Vorteil für ihre Träger bedeutet, breitet diese sich in der Population über die Generationen hinweg besonders schnell aus. Andere Allele, das sind Varianten desselben Gens, verschwinden im gleichen Maß, bis in der gesamten Population fast nur mehr die neue Genvariante vorkommt. Gene, die auf der DNA in direkter Nachbarschaft zu dem neuen und so erfolgreichen Gen liegen, werden dann quasi als Trittbrettfahrer mitgenommen, das „ Variabilitätstal“ entsteht. Die Forschenden nennen diesen Effekt „selective sweep“, was übertragen so viel bedeutet wie „selektionärer Straßenfeger“.

Doch was kann bei den inselbewohnenden Fruchtfliegen ursprünglich zu diesen Tälern der genetischen Vielfalt geführt haben? Höhere Organismen, wie zum Beispiel Fruchtfliegen, haben einen doppelten Chromosomensatz, je einen väterlichen und einen mütterlichen. Die klassische Genetik sagt, dass väterliche und mütterliche Gene mit der gleichen Wahrscheinlichkeit an die Kindergeneration weitergegeben werden.

Kampf der Gene

Forscher haben jedoch vor kurzem entdeckt, dass sich einzelne Gene bei der Weitergabe an die nächste Generation auch einen Vorteil erschwindeln können. Zur Erklärung ein Beispiel: Ein einfaches Modell dafür liefern zwei benachbarte Gene auf einem der beiden Chromosomen des väterlich-mütterlichen Chromosomenpaars. Das eine Nachbargen erzeugt ein Gift, das andere sorgt dafür, dass der Organismus gegen genau dieses Gift immun ist. Das Chromosom des anderen Elternteils trägt keines dieser beiden Gene. Werden für die Bildung von Keimzellen, das sind Spermien und Eizellen, väterliche und mütterliche Chromosomen wieder aufgetrennt, wird das Gift der einen Keimzellversion aktiv und tötet alle Keimzellen ab, die das Immunitätsgen nicht tragen. So würden sich letztlich das Gen für das Gegengift, aber auch das für das Gift durchsetzen.

Könnten solche Mechanismen für die in der Studie gefundenen „Variabilitätstäler“ verantwortlich sein? Das ist möglich, im Moment aber noch schwer zu sagen. Einer der beiden Variabilitätstäler, die Nolte fand, trägt das so genannte Odysseus-Gen. Frühere Studien hatten vermutet, dass genau dieses Gen in einer weiteren verwandten Fruchtfliegenart tatsächlich an einem genetischen Konfliktgeschehen beteiligt ist.

Könnten so Arten entstehen?

Die Tatsache, dass zwei Regionen des Genoms von Drosophila mauritiana viel geringere Variation aufweisen, als die Regionen, die sie umgeben, lässt also vermuten, dass einige der dort liegenden Gene erst jüngst Teil intragenomischer Konflikte waren. Damit könnten diese Gene dabei geholfen haben, die Drosophila mauritiana als eigene Inselart zu festigen. Schlötterer dazu: „Die größte Herausforderung für eine neu entstehende Art ist es, zu vermeiden, wieder in der Ursprungspopulation aufzugehen. Die Waffen, die bei intragenomischen Konflikten zum Einsatz kommen, wirken auch gegen Hybridkreuzungen mit eng verwandten Arten. Es wird spannend, herauszufinden, ob ein solcher Artbildungsmechanismus bei den Fruchtfliegen auf Mauritius tatsächlich am Werk war.“

Der Artikel „Genome-wide Patterns of Natural Variation Reveal Strong Selective Sweeps and Ongoing Genomic Conflict in Drosophila mauritiana” der Autoren Viola Nolte, Ram Vinay Pandey, Robert Kofler und Christian Schlötterer ist in der Zeitschrift „Genome Research” online erschienen und wird in der Druckausgabe für Januar 2013 veröffentlicht.

Der wissenschaftliche Artikel im Volltext online (Open Access):
http://genome.cshlp.org/content/early/2012/11/18/gr.139873.112
(doi:10.1101/gr.139873.112)
Rückfragehinweis
Univ.Prof. Dr. Christian Schlötterer
Institut für Populationsgenetik
Veterinärmedizinische Universität Wien
T +43 1 25077-4300
christian.schloetterer@vetmeduni.ac.at
Aussender
Mag. Klaus Wassermann
Public Relations/Wissenschaftskommunikation
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Weitere Informationen:

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