Warum können wir uns meist so schwer von Dingen trennen, die wir besitzen?

Eine Studie von Prof. Jörg Oechssler (Universität Heidelberg) und Koautoren im renommierten Economic Journal erklärt nun zum ersten Mal, wie ein evolutionärer Prozess für solche Verhaltensweisen verantwortlich sein könnte


Warum können wir uns meist so schwer von Dingen trennen, die wir besitzen? Warum scheint für uns das alte Auto immer viel mehr wert zu sein, als uns der Händler dafür bieten möchte? Warum ziehen alte Leute nicht aus dem mittlerweile viel zu großen Haus in eine bequemere Eigentumswohnung?

Die Neigung, Dingen, die man besitzt, einen übergroßen Wert zuzumessen, scheint zu den universellen menschlichen Verhaltensweisen zu gehören. Ökonomen und Psychologen kennen diese Neigung unter dem Begriff des „Endowment-Effekts“, ein Effekt, der in einer Reihe berühmter Experimente immer und immer wieder bestätigt wurde. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und seine Koautoren, zum Beispiel, gaben jedem zweiten Studenten in einem Hörsaal eine Kaffeetasse als Geschenk. Anschließend wurden alle Kaffeetassenbesitzer befragt, wie viel Geld sie mindestens haben wollten, um auf ihre Tasse wieder zu verzichten. Alle Studenten, die keine Tasse bekommen hatten, wurden befragt, wie viel sie höchstens bereit wären, für eine identische Tasse zu bezahlen. Es stellte sich heraus, dass die Wertschätzung der Kaffeetassenbesitzer mehr als das doppelte betrug, gegenüber denen, die leer ausgegangen waren. Und dieses Ergebnis wurde in unzähligen anderen Untersuchungen repliziert.

Eine Studie, die in der Juli-Ausgabe des renommierten Economic Journal veröffentlicht wurde, erklärt nun zum ersten Mal, wie ein evolutionärer Prozess für solche Verhaltensweisen verantwortlich sein könnte. Prof. Jörg Oechssler von der Universität Heidelberg untersucht darin mit seinen Koautoren Prof. Steffen Huck (University College London) und Prof. Georg Kirchsteiger (Brüssel) ein Modell, bei dem der Endowment-Effekt in Handelsbeziehungen von Vorteil ist. In einer Jäger-und-Sammler-Gesellschaft zum Beispiel kann es für die Jäger langfristig besser sein, etwas zu viel Wert auf ihr erlegtes Wildfleisch zu legen, auch wenn sie damit ihre Ernähung eigentlich zu sehr fleischlastig machen. Der Grund ist, dass sie in den Verhandlungssituationen mit den Sammlern eine bessere Tauschquote erzielen.

Wie jeder Flohmarktbesucher weiß, bekommt der den besseren Deal, der glaubwürdig machen kann, dass er sein geliebtes altes Stück nur extrem ungern verkaufen würde. Die emotionale Beziehung zu unserem Besitz ist also wahrscheinlich etwas, wogegen wir uns kaum wehren können, auch wenn es uns in modernen Zeiten oft zum Nachteil gereicht. Etwa wenn sich Investoren oft nicht von verlustbringenden Aktien trennen wollen, wenn sie sie zu einem viel höheren Preis erstanden hatten.

Quelle: „Learning to Like What You Have – Explaining the Endowment Effect“, Economic Journal, 115 (2005) 689-702

Rückfragen bitte an:
Prof. Jörg Oechssler
Tel. 06221 543548
oechssler@uni-hd.de

Dr. Michael Schwarz
Pressesprecher der Universität Heidelberg
Tel. 06221 542310, Fax 542317
michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de

Media Contact

Dr. Michael Schwarz idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-heidelberg.de/presse

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Studien Analysen

Hier bietet Ihnen der innovations report interessante Studien und Analysen u. a. aus den Bereichen Wirtschaft und Finanzen, Medizin und Pharma, Ökologie und Umwelt, Energie, Kommunikation und Medien, Verkehr, Arbeit, Familie und Freizeit.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer