Wasserkopf – Sensor überwacht Hirndruck

Mithilfe des implantierten Überwachungssensors können Mediziner den Hirndruck messen. Sie müssen lediglich ein Handlesegerät an den Kopf des Patienten halten. © Patrick J. Lynch / Fraunhofer IMS<br>

Harninkontinenz, ein schlurfender Gang und nachlassende Denkfähigkeit sind Anzeichen für eine Parkinson- oder Alzheimererkrankung.

Ebenfalls möglich ist ein Hydrocephalus, auch als Wasserkopf bekannt. Bei dieser Diagnose produziert das Gehirn entweder zu viel Hirnflüssigkeit oder diese kann nicht ausreichend »ablaufen«. Die Folge: Der Druck im Gehirn steigt zu stark, es nimmt Schaden. Abhilfe schafft ein Shunt-System – eine Art Silikonschlauch –, das Ärzte in das Gehirn des Patienten implantieren.

Dort leitet es überschüssige Flüssigkeit ab, beispielsweise in den Bauchraum. Herzstück dieses Shunt-Systems ist ein Ventil: Steigt der Druck über einen Schwellenwert, öffnet das Ventil, sinkt er wieder darunter, schließt es.

In seltenen Fällen kann es zu einer Überdrainage kommen. Dabei sinkt der Hirndruck zu stark, die Hirnkammern werden quasi ausgepresst. Bislang können Ärzte eine solche Überdrainage nur über aufwändige und teure Computer- oder Magnetresonanztomographien nachweisen.

Hirndruck jederzeit messbar

Anders mit einem neuartigen Sensor: Wird er mit dem Shunt-System ins Gehirn des Patienten implantiert, können die Ärzte den Hirndruck mit einem Handlesegerät auslesen – in wenigen Sekunden, jederzeit und ohne aufwändige Untersuchung. Entwickelt haben den Sensor Forscher des Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS in Duisburg gemeinsam mit der Christoph Miethke GmbH und der Aesculap AG.

Klagt der Patient über Beschwerden, braucht der Arzt lediglich das Handlesegerät von außen an den Kopf des Patienten zu halten. Das Gerät sendet magnetische Funkwellen und versorgt den Sensor im Shunt darüber mit Energie – das Implantat wird »aufgeweckt«, misst Temperatur und Druck in der Hirnflüssigkeit und sendet diese Daten zurück zum Handlesegerät. Ist der Druck außerhalb des gewünschten Bereichs, kann der Arzt das Ventil des Shunt-Systems von außen entsprechend einstellen und es individuell an den Patienten anpassen. »Der Sensor ist ein aktives Implantat, das im Gegensatz zu einem Stent oder einem Zahnimplantat auch Messfunktionen übernimmt«, sagt Michael Görtz, Leiter der Drucksensorik am IMS.

Das Implantat muss bioverträglich sein, der Körper darf es nicht abstoßen. Die Forscher mussten sicherstellen, dass auch der Körper das Implantat nicht angreift. »Die Abwehrreaktionen verhalten sich wie ein aggressives Medium, das sogar das Silizium der Elektronik im Laufe der Zeit auflösen würde«, erläutert Görtz. Miethke verkapselt das Implantat daher vollständig in eine dünne Metallhülle. »Wir können es trotzdem von außen durch die Metallverkapselung mit Energie versorgen, den Hirndruck durch das Gehäuse messen und die aufgenommenen Daten durch das Metall zum Lesegerät nach außen funken«, sagt Görtz. Dazu musste das richtige Metall gefunden werden. Die Schicht darf nicht dicker als die Wand einer Getränkedose sein – also weit dünner als ein Millimeter. Auch das Handlesegerät haben die Forscher entwickelt, samt der Elektronik, über die es mit dem Sensor kommunizieren kann.

Dieser ist serienreif und wurde durch Miethke bereits zugelassen. Mit der Markteinführung des Systems hat das Unternehmen bereits begonnen. »Der Sensor legt die Basis für die Weiterentwicklung hin zu Theranostischen Implantaten – eine Wortschöpfung aus Therapie und Diagnostik. In einigen Jahren könnte der Sensor dann nicht nur den Hirndruck erfassen und damit eine Diagnose erstellen, sondern den Druck auch gleich selbstständig richtig einstellen und somit die Therapie übernehmen«, sagt Görtz.

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Michael Görtz Fraunhofer Forschung Kompakt

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