Neuroblastom: Frankfurter Forscher suchen den molekularen Schlüssel zum Phänomen der Selbstheilung

Neuroblastomzellen in Kultur: Nach experimenteller Änderung der Bildung von TALE Proteinen gehen die Zellen spontan in Zellteilungsruhe und reifen zu Nervenzellen heran (erkennbar an ihren langen Fortsätzen). Kontrollzellen wachsen hingegen kontinuierlich weiter und behalten die Gestalt unreifer Vorläuferzellen (kleines Bild links oben).<br>Quelle: Dorothea Schulte<br>

Trotz der Kombination unterschiedlicher Methoden in der Therapie ist die Heilungschance bei aggressivem Formen der Erkrankung noch immer sehr gering. Gleichzeitig ist das Neuroblastom aber eine der ganz wenigen Krebserkrankungen, bei denen es zum spontanen Rückgang des Tumors kommen kann. Warum dies in manchen Fällen geschieht, in anderen aber nicht, ist noch weitgehend unklar. Wissenschaftler der Goethe Universität in Frankfurt wollen dieses Rätsel entschlüsseln und so zur Entwicklung neuer Therapieansätze beitragen.

Neuroblastom tritt zumeist in den ersten fünf Lebensjahren auf, kann aber in seltenen Fällen auch ältere Kinder oder sogar Erwachsene betreffen. Die Krankheit entsteht meist spontan, das heißt ohne erbliche Vorbelastung. Die genauen Ursachen sind noch nicht bekannt. Wie für andere Krebserkrankungen bei Kindern vermutet man, dass diese Tumoren aus unreifen, embryonalen Vorläuferzellen hervorgehen, die auf noch nicht geklärte Art und Weise im Körper überdauern konnten. Konkret nimmt man an, dass Neuroblastom-Tumore ihren Ursprung in unreifen Neuralleistenzellen des Nervensystems (sogenannten Neuroblasten) haben. Diese Zellen wandern auf vorgeschriebenen Routen durch den embryonalen Körper und tragen zur Entwicklung der unterschiedlichsten Gewebe und Organe bei. Entsprechend finden sich die Primärtumoren von Neuroblastompatienten häufig in solchen Organen, in denen sich Neuralleistenzellen niederlassen, wie beispielsweise der Nebenniere oder den Grenzsträngen entlang der Wirbelsäule.

Interessanterweise bilden sich bei rund zehn Prozent der Patienten, trotz oftmals bereits fortgeschrittener Metastasierung, Tumor und Metastasen spontan zurück. Solche Tumoren weisen eine deutlich geringere Zellteilungsrate auf und die verbleibenden Krebszellen werden entweder durch Zelltod eliminiert oder reifen zu teilungsinaktiven Nervenzellen heran. Dieser gutartige Krankheitsverlauf wird daher als gesondertes Stadium anerkannt und als „4S Neuroblastom“ bezeichnet. Warum sich 4S Tumoren zurückbilden und welche Genprodukte diesen Mechanismus auslösen, ist derzeit noch unklar.

Die entwicklungsbiologisch ausgerichtete Arbeitsgruppe von Prof. Dorothea Schulte befasst sich mit der Frage, wie die Bildung von teilungsinaktiven, reifen Nervenzellen aus sich teilenden, unreifen Neuroblasten gesteuert wird. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Rolle von „TALE-Homöodomän Transkriptionsfaktoren“, einer Gruppe von Eiweißmolekülen, die im Zellkern genetische Programme an- und abschalten.

In Vorarbeiten beobachteten die Wissenschaftler, dass einige TALE-Proteine in Neuroblastomzellen Tumorwachstum fördern, während strukturell ähnliche Proteine in den gleichen Zellen die Rückbildung des Tumors auslösen können. In einem von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Projekt will die Arbeitsgruppe nun zusammen mit Dr. Dirk Geerts von der Erasmus Universität in Rotterdam diejenigen Mechanismen verstehen lernen, die diesem Phänomen zugrunde liegen.

Dafür werden sie in Zellkulturmodellen die Bildung solcher Proteine zeitlich kontrolliert auslösen oder unterdrücken und dabei das Verhalten der Zellen beobachten. Außerdem wollen die Wissenschaftler überprüfen, ob – beziehungsweise wo – zentrale Änderungen der Genaktivität stattfinden. Ergänzend untersuchen sie im Mausmodell das Wachstum und die Rückbildung von denjenigen Tumoren, die unterschiedliche TALE-Proteine in unterschiedlichen Verhältnissen zueinander bilden. Auf diese Weise hoffen die Wissenschaftler, Hinweise zu erhalten, woher 4S Neuroblastomtumoren ihre Fähigkeit zur Rückbildung nehmen, sowie Ansatzpunkte für mögliche neue Therapien gegen aggressive Formen des Neuroblastoms zu finden.

Die Wilhelm Sander-Stiftung fördert dieses Forschungsprojekt mit rund 100.000 Euro. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 190 Mio. Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.

Kontakt (Projektleitung):
Prof. Dr. Dorothea Schulte, Neurologisches Institut (Edinger Institut), Klinikum der J. W. Goethe Universität, Frankfurt
Telefon: +49-(0)69-6301-84159
E-Mail: dorothea.schulte@kgu.de

Media Contact

Sylvia Kloberdanz idw

Weitere Informationen:

http://www.wilhelm-sander-stiftung.de

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