Homburger Forscher finden neuen Regulationsmechanismus zur Entstehung funktionstüchtiger Spermien

Die Experimente zeigen, dass nach Inaktivierung eines Kalziumkanals in Mäusen, der als TRPV6 bezeichnet wird, die Beweglichkeit und Fertilität von Spermien fast vollständig aufgehoben sind.

Die verminderte Fertilität beruht darauf, dass die Kalziumkonzentration in der Nebenhodenflüssigkeit, die über die TRPV6-Kanäle gesteuert wird, nicht auf das erforderliche Maß abgesenkt werden kann. Dadurch können sich kaum noch funktionsfähige Spermien entwickeln.

Die Forschungsarbeiten wurden am 3. Mai 2011 in der Wissenschaftszeitschrift Science Signaling publiziert. Ob sich der dort beschriebene Mechanismus als „Pille für den Mann“ nutzen ließe, kann erst beantwortet werden, wenn Pharmaka verfügbar sind, die TRPV6-Kanäle spezifisch hemmen.

In Deutschland sind etwa 15 Prozent aller Paare ungewollt kinderlos, dabei liegen die Gründe zu 40 Prozent bei den Männern. Zur Entwicklung befruchtungsfähiger Spermien sind unterschiedliche Reifungs- und Aktivierungsprozesse notwendig. Spermien werden nach ihrer Entstehung im Hoden in den Nebenhodenkopf transportiert und wandern dann in den Nebenhodenschwanz, wo sie bis zur Ejakulation gespeichert werden. Bislang wurden zahlreiche Mechanismen beschrieben, die zur Störung der Samenzellbildung (Spermatogenese) im Hoden oder zu einer eingeschränkten Beweglichkeit der Spermien im weiblichen Genitaltrakt führen.

Dagegen ist über die Prozesse, die während der Passage der Spermien durch den Nebenhoden zur Entwicklung funktionstüchtiger Spermien beitragen, noch sehr wenig bekannt. Kalziumionen spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie sind für die Fertilität von Spermien ein zentraler Botenstoff, ihre Konzentration wird sowohl in ihrem Zellinneren als auch in der umgebenden Flüssigkeit im Nebenhoden in engen Grenzen reguliert. Zum Beispiel ist es für die Funktionsfähigkeit der Spermien entscheidend, dass die Kalziumkonzentration in der Nebenhodenflüssigkeit im Verlauf des Nebenhodens um etwa das Vierfache abgesenkt wird.

TRPV6-Proteine, die Kalzium-leitende Kanäle bilden können, wurden vor zehn Jahren zunächst im Epithel von Dünndarm und Niere sowie in der Plazenta entdeckt. Da Pharmaka, die diese Kanäle spezifisch blockieren, zur Aufklärung der Funktion von TRPV6-Kanälen bislang nicht verfügbar sind, haben Pharmakologen der Universität des Saarlandes TRPV6-Kanäle mit einer genetischen Vorgehensweise inaktiviert, indem sie in Mäusen eine Aminosäure im Bereich der Kanalpore mutiert haben, die die Leitfähigkeit des Kanals für Ca2+ eliminiert.

Die Untersuchungen an diesen Mäusen zeigten den völlig unerwarteten Befund, dass Männchen mit dieser Mutation im Trpv6-Gen fast keine Nachkommen hervorbrachten. In der Folge konnte Dr. Petra Weißgerber aus der Fachrichtung Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie zeigen, dass die Spermien dieser Mäuse in ihrer Beweglichkeit (Motilität) deutlich eingeschränkt und in Experimenten zur Befruchtung von isolierten Eizellen kaum noch fertil sind. Anschließend fand sie, dass der Anteil lebensfähiger Spermien nach Passage durch den Nebenhoden drastisch reduziert ist.

Basierend auf weiteren Experimenten von Dr. Ulrich Kriebs, der in Zusammenarbeit mit Prof. Ralf Middendorf (Universität Gießen) und PD Dr. Oliver Kretz (Universität Freiburg) TRPV6-Proteine erstmals in der Membran von Epithelzellen des Nebenhodens, nicht aber in Spermien selbst nachweisen konnte, zeigte sein Kollege Dr. Volodymyr Tsvilovskyy, dass TRPV6-Kanäle dafür verantwortlich sind, dass Kalziumionen über das Nebenhodenepithel aufgenommen werden. Einen direkten Einfluss auf die Spermienfunktion oder die Regulation der Ca2+-Konzentration in Spermien konnte er nicht feststellen. Im Gegenzug zeigen diese Ergebnisse, dass die über TRPV6-Kanäle vermittelte Abnahme der Ca2+-Konzentration in der Nebenhodenflüssigkeit, die die Spermien während des tagelangen Reifungsprozess nach ihrer Entstehung im Hoden umgibt, notwendig ist, damit funktionsfähige Spermien im Nebenhoden gebildet werden können.

Derzeit sind die Homburger Pharmakologen auf der Suche nach Kooperationspartnern, um Pharmaka zu identifizieren, die in der Lage sind, TRPV6-Kanäle spezifisch zu hemmen. Die Frage, ob sich solche Medikamente zu einer effizienten Verhütung ungewollter Schwangerschaften als „Pille für den Mann“ eignen, lässt sich erst bei Verfügbarkeit solcher Substanzen beantworten .

Link zum Forschungsbeitrag:
http://stke.sciencemag.org/cgi/content/abstract/sigtrans;4/171/ra27?etoc
(DOI: 10.1126/scisignal.2001791)
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Dr. med. Marc Freichel
Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Abt. Experimentelle Pharmakologie und Präklinische Krankheitsmodelle
Universität des Saarlandes
66421 Homburg
Telefon: 06841 16-26438; Telefax: 06841 16-26402
E-Mail: marc.freichel@uks.eu

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