Interstitielle Brachytherapie: Nutzen bei lokal begrenztem Prostatakarzinom nicht belegt

Bislang ist kein Urteil möglich, wie die interstitielle Brachytherapie zur Behandlung eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms im Vergleich zu den beiden wichtigsten alternativen Behandlungsmethoden zu bewerten ist: Aus den vorliegenden Daten lässt sich weder Über- noch Unterlegenheit ableiten, aber auch keine Gleichwertigkeit. Zu diesem Ergebnis kommt der Abschlussbericht, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) am 19. März 2007 publiziert hat. Die Kölner Wissenschaftler empfehlen dringend, aussagekräftige klinische Studien durchzuführen, da nicht sicher auszuschließen ist, dass die Brachytherapie sogar Nachteile für die Patienten haben kann.

Behandlungsalternativen im Vergleich

Prostatakrebs gilt als potenziell heilbar, solange der Tumor auf das Innere des Organs begrenzt ist. Für die Behandlung solch eines lokal begrenzten Tumors stehen vor allem drei Möglichkeiten zur Verfügung: Neben der kompletten operativen Entfernung der Prostata – der Prostatektomie – und der konventionellen Strahlentherapie („perkutane Strahlentherapie“) ist das die so genannte permanente interstitielle LDR-Brachytherapie (LDR = Low Dose Rate). Bei dieser Behandlung werden über spezielle Nadeln kleine radioaktive Partikel dauerhaft in das Innere der Prostata eingebracht, die den Tumor vor Ort gezielt bestrahlen sollen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWiG beauftragt, die zunehmend häufiger eingesetzte interstitielle Brachytherapie hinsichtlich patientenrelevanter Therapieziele zu bewerten und dabei mit der operativen Entfernung der Prostata und der konventionellen Strahlentherapie zu vergleichen. Ursprünglich war geplant, auch das so genannte kontrollierte Zuwarten (watchful waiting) als weitere Behandlungsoption in die Bewertung mit einzubeziehen, was mangels adäquater Studien aber nicht möglich war.

Bewertung auf Basis nicht randomisierter kontrollierter Studien

Die Kölner Forscher halten die Studienlage insgesamt für unzureichend. Mit dieser Einschätzung stieß das IQWIG auch bei externen Experten, die zum Vorbericht Stellung genommen und an der mündlichen Erörterung teilgenommen hatten, auf breite Zustimmung. Da abgeschlossene randomisierte kontrollierte Studien (RCT) für die Fragestellung des Auftrags bislang gänzlich fehlen, mussten sich die IQWiG-Mitarbeiter auf nicht randomisierte Interventions- und Beobachtungsstudien stützen. Voraussetzung war, dass diese Studien eine zeitlich parallele Kontrollgruppe in die Betrachtung mit eingeschlossen hatten. Alle vom IQWiG in die Bewertung einbezogenen Studien wiesen jedoch methodische Mängel auf, die die Aussagekraft ihrer Ergebnisse schwächen.

Keine belastbaren Aussagen zum Überleben möglich

Wie die systematische Übersichtsarbeit des IQWiG zeigt, gibt es zwar Hinweise, dass die Brachytherapie die Sexualität weniger beeinträchtigt und seltener zu Harninkontinenz führt als eine operative Entfernung der Prostata. Im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie könnte sich die Brachytherapie weniger nachteilig auf die Enddarmfunktion auswirken. Diese Hinweise reichen nach Ansicht der Kölner Wissenschaftler aber nicht für einen Nutzenbeleg aus, weil bislang nicht belegt ist, dass diese Therapie im Hinblick auf das (krankheitsfreie) Überleben der Patienten zumindest den alternativen Behandlungsmöglichkeiten gleichwertige Ergebnisse verspricht. Es ist also nicht sicher auszuschließen, dass Patienten bei einer Brachytherapie früher versterben oder weniger lange kranheitsfrei überleben. Auch zu krankheitsbedingten Beschwerden lassen die verfügbaren Studien keine belastbaren Aussagen zu.

In seiner Grundaussage bestätigt der IQWiG-Abschlussbericht die Ergebnisse anderer aktueller systematischer Übersichten und HTA-Berichte: In allen wird ein Mangel an interpretierbaren Studien beklagt, so dass die offenbar rasche und unkontrollierte Ausbreitung dieser Methode in der Versorgung bedenklich erscheint. Die IQWiG-Wissenschaftler empfehlen dringend, aussagekräftige klinische Studien durchzuführen, um die Brachytherapie mit konventionellen Behandlungsoptionen zu vergleichen.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Am 26. September 2006 stellte das IQWiG den Vorbericht zur Diskussion. Zu den vorläufigen Ergebnissen erhielt das Institut insgesamt 20 Stellungnahmen. Unklare Punkte dieser Kommentare wurden mit den Verfassern am 8. November in Köln diskutiert. Der Vorbericht wurde daraufhin überarbeitet. Das Protokoll der Erörterung sowie die schriftlichen Stellungnahmen selbst sind im Anhang des Abschlussberichts dokumentiert.

Mit den Stellungnahmen erhielt das IQWiG eine Reihe zusätzlicher Studien, von denen zwei auch den Ein- und Ausschlusskriterien des Berichts entsprachen. Die erheblichen Mängel der beiden Studien führten jedoch zum Ausschluss von der abschließenden Nutzenbewertung. Eine Begründung für dieses Vorgehen wird im Abschlussbericht ausführlich dargelegt.

Bereits zur mündlichen Erörterung hatte das IQWiG eine so genannte Sensitivitätsbetrachtung vorgelegt. Dabei haben die IQWiG-Mitarbeiter geprüft, ob die Ergebnisse anders ausfallen, wenn man die Studien mit einbezieht, die wegen erheblicher Mängel bei der Nutzenbewertung nicht berücksichtigt worden waren. Sie kamen zu dem Schluss, dass sich die generelle Einschätzung des Nutzens der Brachytherapie dadurch nicht ändert. Was die Lebensqualität und die Funktion des Enddarms betrifft, erwies sich die Brachytherapie bei dieser Betrachtung der Prostatektomie sogar unterlegen.

Media Contact

Dr. Anna-Sabine Ernst idw

Weitere Informationen:

http://www.iqwig.de

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