AIDS: ein Unfall der viralen Evolution?

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Kirchhoff (Universität Ulm) konnte jetzt zeigen, dass die meisten SI-Viren (engl. simian immunodeficiency) – im Gegensatz zu HIV-1 – die Aktivierung und den programmierten Zelltod von infizierten Helfer T-Zellen blockieren. Diese Eigenschaft ist wahrscheinlich für beide Seiten von Vorteil. Das Virus kann lebenslang persistieren und sich effektiv ausbreiten und der infizierte Affe entwickelt kein AIDS. Die Einzelheiten der Studie ersceinen am 16. Juni in der renommierten Fachzeitschrift Cell.

AIDS, eine der schlimmsten Infektionskrankheiten unserer Zeit, ist das Ergebnis der Übertragung von Affenimmundefizienzviren auf den Menschen. HIV-1, der Haupterreger von AIDS, stammt ursprünglich aus Schimpansen und wurde erst in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts auf den Menschen übertragen. Mittlerweile wurden SIVs in etwa vierzig afrikanischen Affenarten nachgewiesen. Obwohl diese Viren als „Immundefizienzviren“ bezeichnet werden, verursachen sie in ihren natürlichen Wirten keine Erkrankung. Dabei ist der wesentliche Unterschied zwischen der pathogenen HIV-1 Infektion und der asymptomatischen SIV Infektion eine chronische starke Aktivierung des Immunsystems im menschlichen Wirt. Diese führt dazu, dass dessen Regenerationskapazität vorzeitig erschöpft ist und es zur Entwicklung von AIDS kommt. Im Gegensatz dazu zeigen die natürlichen Affenwirte keine starke Immunaktivierung und können lebenslang mit dem Virus leben, ohne dass das Immunsystem zerstört wird. Die Ursachen hierfür waren allerdings bisher unklar.

Ein bestimmtes virales Eiweiß, das Nef-Protein, gilt als wichtiger Virulenzfaktor, der entscheidend zur Entwicklung von AIDS beiträgt. Unter anderem war bekannt, dass das HIV-1 Nef-Protein die Aktivierung von infizierten T-Zellen verstärkt und so wahrscheinlich zur schädlichen Überaktivierung des Immunsystems beiträgt. Im Rahmen seiner Promotionsarbeit fand Dr. Michael Schindler jetzt heraus, dass viele SIV Nef-Proteine genau das Gegenteil bewirken. „Um aktiviert werden zu können, benötigen T-Zellen den sogenannten T-Zellrezeptor“ erläutert Prof. Kirchhoff. „Die Nef-Proteine der meisten SI-Viren entfernen einen wesentlichen Bestandteil dieses Rezeptors, das CD3 Molekül, von der Zelloberfläche und blockieren dadurch die Aktivierung und das vorzeitige Absterben der Virus-infizierten T-Zellen“. Lediglich der Haupterreger von AIDS, HIV-1 und dessen unmittelbare Vorläufer haben diese Fähigkeit verloren. Das Forscherteam ist der Ansicht, dass diese Nef-Funktion normalerweise als eine Art „Ventil“ wirkt, die gerade soviel T-Zellaktivierung zuläßt, dass sich das Virus effektiv vermehren kann, jedoch die für den Wirt schädliche „Hyperaktivierung“ des Immunsystems verhindert. Diese wichtige Schutzfunktion des Nef-Proteins ging unglücklicherweise im Laufe der Evolution der Immundefizienzviren genau in der Viruslinie verloren, die später vom Schimpansen auf den Menschen übertragen wurde und dann zur AIDS-Pandemie geführt hat.

Die Forscher haben somit einen wichtigen Grund dafür gefunden, warum Affenimmundefizienzviren ihren natürlichen Wirten keinen wesentlichen Schaden zufügen. Sie hoffen, dass diese neuen Ergebnisse dazu beitragen werden, neue Wege zu finden, auch die Zerstörung des Immunsystems durch die HIV-1 Infektion und somit die Entwicklung von AIDS zu verhindern.

Weitere Informationen sind erhältlich bei: Prof. Dr. Franz Kirchhoff, Abteilung für Virologie, Universität Ulm, Albert-Einstein-Allee 11, Tel. 0731-500-23344, Email: frank.kirchhoff@uni-ulm.de

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Willi Baur idw

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