Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki – gesundheitliche Strahlenwirkungen

Am 6. und 9. August 2005 jähren sich zum 60. Mal die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Weite Teile beider Städte wurden damals beinahe vollständig zerstört und diejenigen, die sich zum Zeitpunkt der Explosionen nahe der Hypozentren aufgehalten hatten, hatten nur geringe Überlebenschancen. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass bis Ende 1945 in beiden Städten etwa 200.000 Betroffene an den akuten Folgen der Explosionen gestorben sind. Zu diesen akuten Folgen zählten nicht nur Verletzungen durch die Druckwelle und die Hitze der Explosionen, sondern auch akute Erkrankungen aufgrund der Exposition mit hohen Dosen ionisierender Gamma- und Neutronenstrahlung.

Die für den Einsatz der Atombomben Verantwortlichen hatten zunächst nur mit der Wirkung von Explosionsdruck und Hitze gerechnet und keine später auftretenden gesundheitlichen Wirkungen der Strahlung erwartet. Doch bereits Anfang der 1950er Jahre stellten Ärzte eine Häufung von Linsentrübungen und Leukämien unter den Atombombenüberlebenden fest. Im Einzelfall kann leider bislang nicht diagnostisch oder molekularbiologisch erkannt werden, ob eine Leukämie- oder Krebserkrankung strahleninduziert ist oder durch andere, unbekannte Faktoren verursacht wurde. Die Abschätzung der zusätzlichen, durch die vorherige Bestrahlung verursachten Fälle eines Krankheitsbildes beruht daher allein auf dem Vergleich der Häufigkeiten bei den bestrahlten und praktisch nicht bestrahlten Personengruppen.

Seit 1950 werden in einer gemeinsamen japanisch-amerikanischen Studie etwa 120.000 Überlebende aus beiden Städten medizinisch überwacht und biostatistische und dosimetrische Untersuchungen durchgeführt. „In den ersten Jahren dieser Untersuchungen war besonders die Häufung der Leukämieerkrankungen auffällig“, berichtet Dr. Werner Rühm vom GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit. In den folgenden Jahren normalisierten sich die Leukämiehäufigkeiten allmählich wieder. „Im gesamten Beobachtungszeitraum von 1950-2000 traten bei etwa 87.000 untersuchten Überlebenden 296 Leukämietodesfälle auf, 93 davon werden heute der ionisierenden Strahlung durch die Atombombenexplosionen zugeordnet“, erklärt der Strahlenschutzexperte, der auch an den Neutronen-dosimetrischen Untersuchungen beteiligt war. Für Krebserkrankungen stellt sich die Situation anders dar. Hier wurden im selben Zeitraum in der gleichen Gruppe der Überlebenden insgesamt 10.127 Krebs-Todesfälle beobachtet. Erwartet würden in einer unbestrahlten Vergleichsgruppe 9.648 Todesfälle, so dass man gegenwärtig von 479 zusätzlichen, durch die Strahlung der Atombomben bereits hervorgerufenen Krebstodesfällen ausgeht. Allerdings ist das strahleninduzierte Auftreten von Krebserkrankungen – anders als bei Leukämie – auch 60 Jahre nach den Explosionen bei den Überlebenden immer noch deutlich erhöht und es wird vermutet, dass in Zukunft noch mindestens weitere etwa 500 strahlenbedingte, zusätzliche Krebsfälle bei den Überlebenden zu beklagen sein werden.

Neueste Erkenntnisse deuten zudem darauf hin, dass bei hohen Dosen auch Nichtkrebserkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen unter den Atombombenüberlenden erhöht sein könnten. Über die Mechanismen, wie ionisierende Strahlung zu derartigen Erkrankungen führen kann, ist bislang wenig bekannt. Eine Fortführung dieser Studien an den Überlebenden ist daher allein aus diesem Grund dringend geboten.

„Eine erhöhte Häufigkeit von Erbschäden durch Strahlung konnte – im Gegensatz zu verbreiteter Meinung – trotz aufwändiger Untersuchungen an den Kindern und Kindeskindern der Atombombenüberlebenden bisher nicht nachgewiesen werden“, erzählt Rühm. Dies beweist jedoch nicht, dass eine Erhöhung derartiger Schäden nicht existiert. Da im Einzelfall gegenwärtig eine strahlenbedingte Erbschädigung nicht von einer spontan aufgetretenen unterschieden werden kann, ist es möglich, dass bisher der Beitrag durch die Strahlung der Bomben unter den statistischen Schwankungen der normalerweise auftretenden Erbschäden verborgen geblieben ist.

Von Erbschäden sind die Fehlbildungen zu unterscheiden, die durch vorgeburtliche Bestrahlung eines Embryos oder Fetus im Mutterleib verursacht werden. Erst vor circa 20 Jahren erkannte man, daß z.B. etwa 30 Fälle schwerer geistiger Retardation bei in Hiroshima und Nagasaki vorgeburtlich bestrahlten Kindern durch Strahlung verursacht worden sind. Das Zentralnervensystem – insbesondere das sich entwickelnde Gehirn in der 9. bis zur 15. Woche der Schwangerschaft – weist unter allen Organen die höchste Strahlenempfindlichkeit auf.

Im Gegensatz zu weit verbreiteter Meinung zeigen die Untersuchungen in Japan also, dass weder die Anzahl der beobachteten, strahlenbedingten Krebstodesfälle unter den Atombombenüberlebenden in die Tausende oder sogar Zehntausende geht, noch beispielsweise bei der Nachfolgegeneration ein erhöhtes Auftreten von Erbschäden beobachtetet werden kann (z. Zt. wird hier schon die dritte Generation untersucht, ohne dass Hinweise auf strahlenbedingte Erbschäden gefunden werden konnten). „Dennoch müssen die Beobachtungen an den Atombombenüberlebenden auch 60 Jahre nach den tragischen Ereignissen über Hiroshima und Nagasaki fortgesetzt werden“ betont Rühm, „da – mit Ausnahme der Leukämie – die Erhöhung der Krebsraten erst jetzt in den Sterberaten derer deutlich werden kann, die im Kindesalter bestrahlt wurden. Bereits jetzt geht unser Wissen über die durch ionisierende Strahlung beim Menschen verursachten Spätfolgen wesentlich auf diese Studien zurück, die seit nunmehr 55 Jahren an den Überlebenden der Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki durchgeführt werden“.

Media Contact

Michael van den Heuvel idw

Weitere Informationen:

http://www.gsf.de

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