Kristalle züchten aus Urin – Neues Verfahren ermöglicht bessere Harnstein-Prognose

Die Symptome sind dramatisch: Unerträgliche Schmerzen, blutroter Urin, Brechreiz. Etwa 5 Prozent aller Bundesbürger machen mindestens einmal in ihrem Leben eine Harnleiterkolik durch. Ursache sind Steine, die sich aus dem Nierenbecken lösen und im Harnleiter stecken bleiben. Wer einmal einen Harnstein hatte, muss damit rechnen, dass er sehr bald erneut eine Kolik erleidet. Durch eine geeignete Umstellung der Ernährung oder durch Medikamente lässt sich das Risiko aber drastisch senken. Wissenschaftler der Urologischen Klinik der Universität Bonn haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sich das Harnsteinrisiko sehr schnell und genau abschätzen lässt. Die Forscher können mit Hilfe des von ihnen entwickelten „BONN Risk Index“ den Erfolg der eingeschlagenen Behandlungsstrategie überprüfen und ihr Therapiekonzept optimieren; das Risiko weiterer Harnsteine wird so drastisch gesenkt.

Ist die Konzentration von Kalzium und anderen Substanzen im Harn zu hoch, können sich kleine Kristalle bilden, die mit der Zeit zu immer größeren „Steinen“ heranwachsen. Bislang bestimmen die Wissenschaftler aus der Urinprobe des Patienten eine Handvoll biochemischer Werte, aus denen sich erfahrungsgemäß das Steinrisiko ungefähr abschätzen lässt. Diese – indirekte – Methode ist aber nicht zuverlässig: Der Harn enthält hunderte von Substanzen, die die Kristallbildung beeinflussen können. „Wir gehen daher einen anderen Weg“, erklärt Dr. Norbert Laube aus der Abteilung Experimentelle Urologie der Bonner Klinik und Poliklinik für Urologie: „Wir züchten aus der Urinprobe Kristalle. Je schwerer das ist, desto geringer das Steinrisiko.“

Dazu geben die Bonner Wissenschaftler der Probe tropfenweise eine Triggerlösung zu, mit der sie die Steinbildung anregen. Sobald sich die ersten Mikrokristalle bilden, trübt sich der Urin. Der Vorgang ist für das unbewaffnete Auge kaum sichtbar, mit einem Spezialgerät, einem Photometer, können die Experten aber sicher feststellen, wann die Kristallbildung einsetzt. Je weniger Triggerlösung sie bis zu diesem Zeitpunkt zutropfen mussten, desto höher das Harnsteinrisiko. Dr. Laube: „Wir berechnen daraus und aus der Konzentration der Kalziumionen im Urin den BONN Risk Index, der genau sagt, wie hoch das aktuelle Risiko des Patienten ist.“

Die neue Methode, die in der Arbeitsgruppe des Bonner Professors Dr. Albrecht Hesse entwickelt wurde, ist der biochemischen Analyse weit überlegen – und funktioniert zudem außerordentlich schnell: Bereits 15 Minuten nach Abgabe der Harnprobe liegen die Messwerte aus dem Tisch. „Der Arzt kann so deutlich schneller und genauer erkennen, ob die Medikamente anschlagen, ob er die Dosis erhöhen oder senken muss oder ob eine andere Diät angebracht ist“, erklärt Dr. Laube. Die Wissenschaftler bestimmen den BONN Risk lndex getrennt für den tagsüber und nachts gebildeten Urin, da das Harnsteinrisiko zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich hoch sein kann. „Das verbessert noch die individuelle Prophylaxe für unsere Patienten.“

Die Bonner Wissenschaftler wollen nun die Messung automatisieren und die Apparatur weiter verkleinern. Dazu suchen sie noch nach lndustriepartnern. Die Chancen stehen nicht schlecht – schließlich haben sich Harnsteine zu einer wahren Volkskrankheit entwickelt: Die Zahl der Patienten hat in den letzten zwei Jahrzehnten um 25 Prozent zugenommen, so eine epidemiologische Studie der Deutschen Gesellschaft für Urologie unter Federführung von Professor Dr. Albrecht Hesse in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Sozialwissenschaft (INFAS). Im Jahr 2000 waren etwa 1,2 Millionen Bundesbürger betroffen – meist Männer zwischen 25 und 50 Jahren. Die Ergebnisse der Studie sowie der Arbeiten zum BONN-Risk-lndex wurden auf dem diesjährigen Deutschen Urologenkongress in Wiesbaden (18. bis 21. September) erstmals gemeinsam vorgestellt.

Ansprechpartner für Medien und Industrie: Dr. Norbert Laube, Abteilung für Experimentelle Urologie der Klinik und Poliklinik für Urologie, Tel.: 0228/287-9106, E-Mail: norbert.laube@ukb.uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

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