Rostocker Forscher wollen gelähmter Frau das Tanzen ermöglichen

Kann man mit Gedankenkraft tanzen? Die Berlinerin Angela Jansen leidet an der unheilbaren Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose ist eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems). Sie ist mit wachem Geist im eigenen Körper gefangen und kann nur über Augenbewegungen mittels eines Computers kommunizieren.

Jetzt wollen Rostocker Forscher der seit zwölf Jahren völlig gelähmten und ehemaligen Tangotänzerin in einem außergewöhnlichen Projekt virtuell das Tanzen ermöglichen. Doch ist das realistisch? „Ist es“, sagt Professor Lars Schwabe, Experte für Neuroinformatik und adaptive Softwaresysteme an der Fakultät für Informatik und Elektrotechnik der Universität Rostock. Der 37-jährige Wissenschaftler, der neben Informatik auch Philosophie an der TU Berlin studiert hat, beschäftigt sich mit der mathematischen Modellierung von Hirnfunktionen. Er hat in den USA und der Schweiz mit Medizinern gearbeitet und sich in diesem Fach umfangreiches Wissen angeeignet.

Nun hat er gemeinsam mit Studierenden und Künstlern in der Kunsthalle Rostock (18. März bis 28. Mai) temporär ein Labor eingerichtet. Da wird neuste Forschung in ihrer ganz praktischen Anwendung erlebbar: Mit dem Brain Dancing Event an der Rostocker Kunsthalle „Pingo ergo sum – Das Bild fällt aus dem Hirn“ von dem Künstler Adi Hoesle wagen die Informatiker der Uni Rostock ein Experiment der besonderen Art.
„Wir haben uns ganz was Innovatives überlegt“, sagt Lars Schwabe. Außerkörperliche Erfahrungen, beispielsweise in Extremsituationen, hat er bereits in der Schweiz erforscht. Sein Ziel ist es nun besser zu verstehen, was den Menschen vom Computer unterscheidet. Was die Persönlichkeit oder das Selbst ausmacht. Das Tango-Projekt für die gelähmte Frau bietet sich dafür an.

Künstlich erzeugte Computerpüppchen werden zur Musik tanzen, gesteuert durch die Hirnsignale und Augenbewegungen von Angela Jansen. Dazu werden Tanzbewegungen von professionellen Tangotänzern aufgezeichnet und vom Computer nach ihrem Willen neu kombiniert und variiert. “Unser erstes Ziel ist es”, sagt Schwabe, “bei Frau Jansen das Gefühl der Verursachung der Tanzbewegungen hervorzurufen — auf Englisch ‘Agency’ — und nicht nur das Gefühl des Betrachtens eines tanzenden Avatars.” Unter dem Titel „Meine Spiegelneurone tanzen Tango mit dir – Brain Dancing“ werden die Forscher am kommenden Sonntag, dem 6. Mai von 13 -15 h das Brain Dancing Projekt in der Kunsthalle für die Öffentlichkeit vorstellen. Die Performance professioneller Tanzpaare wird nicht nur mittels Motion Capture auf die Rechner des Expertenteams um Prof. Lars Schwabe übertragen, sondern auch in Stereo-3D von der Warnemünder Firma Pinkau Entertainment aufgezeichnet. Durch modernste Technologie erreicht das Entertainment so eine neue Ebene.

Prof. Schwabe setzt seine Forschungsergebnisse und Erfahrungen ein, um die Mensch-Maschine-Interaktion zu verbessern. Das heißt so viel wie „die Computer so zu programmieren, dass sie sich besser an den Menschen anpassen und mit ihm kooperieren“. Schwabe sagt: „Es ist ein Skandal, wie dumm Computer heute noch sind. Sie sind zwar um Größenordnungen schneller und zuverlässiger als Nervenzellen, aber trotzdem sind Menschen bei vermeintlich einfachen Aufgaben wie Objekterkennung noch immer besser als die Computer“. Die Entwicklung von Computersystemen mit dem Menschen im Mittelpunkt ist auch ein zentrales Forschungsthema des Rostocker Instituts für Informatik.

Während der Ausstellungszeit bis zum 28. Mai finden weiterhin „Brain Painting“-Performances statt, an denen sich rund 25 renommierte Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und Österreich beteiligen und allein mit Gehirnströmen Kunstwerke erschaffen. Gearbeitet wird dabei mit einem „Brain Computing Interface“. Für den Künstler Adi Hoesle ist „Brain Painting“ eine Kunstform der Zukunft. „Das Atelier des dritten Jahrtausends ist der Kopf“, so Hoesle. Dafür bedürfe es der stetigen Weiterentwicklung der Technologie, weshalb das Ausstellungsprojekt „Pingo ergo sum – Das Bild fällt aus dem Hirn“ als grenz- und fächerübergreifendes Projekt angelegt ist, an dem sich Künstler und Wissenschaftler gleichermaßen beteiligen. Ein Museum ist bei einem solchen Projekt natürlich besonders gefordert. Das Neue ist hier, dass die Ausstellung erst im Laufe der Ausstellung entsteht. Der Prozess ist entscheidend. Mit dem Ende der Ausstellung wird das Kunstwerk — die Ausstellung — fertig sein. “Das Brain Dancing”, sagt Schwabe, “wird uns aber noch weitaus länger beschäftigen. Wir denken, dass wir noch in diesem Jahr einen Prototyp haben, mit dem ALS Patienten sich im virtuellen Raum zu Tango Flash Mobs treffen können.”

Universität Rostock
Fakultät für Informatik und Elektrotechnik
Prof. Dr. Lars Schwabe
T: 0381 498 7420
Email: lars.schwabe@uni-rostock.de

Media Contact

Ingrid Rieck Universität Rostock

Weitere Informationen:

http://www.uni-rostock.de

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