Umweltchemikalie blockiert Zellfunktion

Forscher der Universität Bonn wiesen nun in Experimenten an Gewebeproben von Mäusen und Menschen nach, dass die Umweltchemikalie die Calcium-Kanäle in den Zellmembranen blockiert. Ähnlich wirken Medikamente, die etwa bei Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen verabreicht werden. Die Ergebnisse werden nun im Journal „Molecular Pharmacology“ vorgestellt.

Bei Bisphenol A (BPA) handelt es sich um eine Industriechemikalie, die weltweit und in großem Umfang für die Herstellung von Polycarbonat-Kunststoffen und Kunstharzen verwendet wird.

„Nach neueren Erkenntnissen kann die Substanz den Hormonhaushalt beeinflussen sowie Enzyme und Transportproteine in ihrer Funktion beeinträchtigen“, berichtet Prof. Dr. Dieter Swandulla vom Institut für Physiologie II der Universität Bonn. Der Stoff werde mit Herzkrankheiten, Diabetes, Übergewicht, Krebs und neurologischen Störungen in Zusammenhang gebracht.

„Insbesondere Föten und Neugeborene scheinen besonders sensitiv auf BPA zu reagieren“, sagt der Physiologe. Wegen der nicht vorhersehbaren Wirkungen verbot die EU-Kommission im Jahr 2011 vorsorglich die Verwendung von Bisphenol A in Babyflaschen.

Bisphenol A blockiert mehrere wichtige Calcium-Kanäle

Das Forscherteam um Prof. Swandulla stellte nun in Experimenten an Gewebeproben von Mäusen und Menschen fest, dass BPA für die Zellfunktion wichtige Calcium-Kanäle in der Zellmembran reversibel blockiert. Durch diese porenartigen sogenannten Kanalproteine strömt das Calcium in die lebenden Zellen, wodurch etwa die Kontraktion von Herzmuskelzellen, die Aktivität von Enzymen und die Kommunikation der Nervenzellen untereinander gesteuert wird.

„Medikamente zum Beispiel zur Behandlung von Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen einerseits und Nervengifte – zum Beispiel Schwermetalle – andererseits wirken ganz ähnlich auf genau diese Calcium-Kanäle“, berichtet der Physiologe der Universität Bonn. „Das ist ein weiterer wichtiger Hinweis darauf, dass BPA tatsächlich gesundheitsschädliche Wirkungen im Organismus hervorrufen kann.“ Da die Bindung des Bisphenol A an den Calcium-Kanal reversibel erfolgt, bestehe immerhin die Möglichkeit, dass die Chemikalie vom Körper wieder ausgeschieden wird.

Bisphenol A und seine Abkömmlinge sind allgegenwärtig

Allerdings sind Bisphenol A und verwandte Substanzen mittlerweile nahezu überall in der Umwelt messbar: Sie kommen zum Beispiel in CD’s, Geldscheinen, Einkaufszetteln, Konservendosen, Zahnfüllungen und Flammschutzmitteln, aber auch in der Atemluft und im Hausstaub in wirksamen Mengen vor, sodass der Mensch inzwischen chronisch mit diesen Substanzen belastet ist. „Es wäre deshalb wünschenswert, die Produktion von BPA komplett einzustellen“, sagt Prof. Swandulla. „Es würde aufgrund des Herstellungsvolumens und der weiten Verbreitung aber sehr lange dauern, bis die Umwelt und der Mensch endgültig von dieser Chemikalie befreit wären.“ Ziel müsse es deshalb sein, Ersatzstoffe zu finden, die keine schädlichen Wirkungen auf den menschlichen Organismus und andere Organismen haben.

Publikation: Bisphenol A inhibits voltage-activated Ca2+ channels in vitro: mechanisms and structural requirements, „Molecular Pharmacology“, DOI: 10.1124/mol.112.081372

Kontakt:

Prof. Dr. Dieter Swandulla
Institut für Physiologie II
Tel. 0228/7360100
E-Mail: dieter.swandulla@ukb.uni-bonn.de

Media Contact

Johannes Seiler idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-bonn.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer