Tunnel lösen Entsorgungsprobleme

Waschmittel, Käseherstellung oder Blutzuckertests – überall dort sind Enzyme wirksam und beeinflussen chemische Reaktionen.Ein internationales Forscherteam aus Tschechien, Deutschland und Japan hat eine neue Methode entwickelt, um die Eigenschaften von Enzymen zu verbessern. Die Methode hat das Entwicklungspotenzial für weitgefächerte Anwendungen in der chemischen, medizinischen und der Nahrungsmittelindustrie.

Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in Nature Chemical Biology veröffentlicht (Martina Pavlova Martin Klvana, Zbynek Prokop, Radka Chaloupkova, Pavel Banas, Michal Otyepka, Rebecca C Wade, Masataka Tsuda, Yuji Nagata & Jiri Damborsky: Redesigning dehalogenase access tunnels as a strategy for degrading an anthropogenic substrate. Nature Chemical Biology 2009;5(10):727-33).

Siehe auch: http://www.nature.com/nchembio/journal/v5/n10/abs/nchembio.205.html

Die veränderten Enzyme können zum Beispiel dafür verwendet werden, um gefährliche chemische Substanzen zu entsorgen, die durch den Menschen in die Umwelt gelangt sind und für Mensch und Tier äußerst gefährlich sind. Die Natur kann im Prinzip viele dieser Chemikalien abbauen, die Forscher haben jedoch einen Ansatz entwickelt, mit dem die gefährlichen Substanzen rasch und effizient entfernt werden können.

Das Prinzip der Entdeckung gründet sich auf der genetischen Manipulation eines Enzyms, das die chemische Reaktion startet und beschleunigt. „Wir können jetzt genetische Veränderungen nutzen, um die Eigenschaften der Enzyme zu verändern, damit sie schneller und leichter die gefährlichen Substanzen in der Umwelt entsorgen können“, berichtet Jiri Damborsky, Leiter der Protein Engineering Group am Institut für Experimentalbiologie der Masaryk University in Brno (Tschechische Republik).

Bislang hatten sich die Wissenschaftler bei der Veränderung von Enzymeigenschaften auf die Stelle im Enzym konzentriert, an der die chemische Reaktion abläuft – auf das aktive Zentrum. Die neue Methode hingegen basiert auf der Veränderung sogenannter „Zugangstunnel“ (access tunnels), die das aktive Zentrum mit der Oberfläche des Enzyms verbinden. „Mit speziellen informatischen Techniken haben wir die experimentelle Arbeit unterstützt, diese Tunnel zu manipulieren, um ihre Zugänglichkeit zu den abgebauten Substanzen zu verändern“, sagt Rebecca Wade, Leiterin der Molecular and Cellular Modeling Group am EML Research, dem Forschungsinstitut der Klaus Tschira Stiftung in Heidelberg.

Die Wissenschaftler wandten diesen Ansatz der Enzymmanipulation an, um eine hochgiftige Substanz abzubauen: Trichloropropan (TCP). Diese farblose Flüssigkeit fällt in der chemischen Industrie als Nebenprodukt an. Sie bleibt im Boden und Grundwasser über hundert Jahre vorhanden, verunreinigt das Trinkwasser und ist krebserregend. Mit dem neuen Ansatz entwickelten die Proteinforscher ein verändertes Enzym, das TCP 32-mal schneller abbauen kann als das urspüngliche Enzym.

Aber die Methode kann nicht nur im Kampf gegen gefährliche Substanzen und zum Umweltschutz angewendet werden. Die gezielte Veränderung der Tunnel in Enzymen kann für verschiede Anwendungsbereichen nutzbar gemacht werden, wie zum Beispiel Biomedizin, chemische Industrie und Nahrungsmittelproduktion.

Pressekontakt:
Dr. Peter Saueressig
Pressesprecher, EML Research, Phone: +49-6221-533245
Email: Peter.Saueressig@eml-r.villa-bosch.de
Tereza Fojtova
Masaryk University spokeswoman
Phone: +420 724517335
Email: fojtova@rect.muni.cz
Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Jiri Damborsky, leader of the Protein Engineering Group at the Institute of Experimental Biology, Faculty of Science, Masaryk University Phone+420 549493467, mail: jiri@chemi.muni.cz

Dr. Rebecca Wade, leader of the Molecular and Cellular Modeling Group, EML Research, Heidelberg. Tel +49 6221 533 247; email: Rebecca.wade@eml-r.villa-bosch.de

Wieviele Forscher arbeiteten an diesem Projekt und wie lange?
Zehn Mitglieder aus vier Wissenschaftlerteams nahmen teil – Biochemiker aus dem Institute of Experimental Biology, Masaryk University, Brno (Tschechien); Physikalische Chemiker von der Palacky University, Olomouc (Tschechien), Biophysiker vom EML Research (Deutschland), und Molekularbiologen von der Sendai University (Japan). Drei Promotionsstudierende arbeiteten ebenfalls mit. Das Projekt startete 2003 und nahm sechs Jahre in Anspruch.
Was ist der Nutzen der neuen Methode?
Die neue Methode ermöglicht es, Enzymeigenschaften zu verändern, in dem man die Tunnel verändert, die das katalytische Zentrum eines Enzyms mit der Enzymoberfläche verbinden. Die Zentren für die Modifizierung werden mit Hilfe von rechnergestützten Methoden ausgewählt. Dabei werden spezielle Softwarewerkzeuge verwendet, die die Projektteilnehmer entwickelt haben. Die Methode kann dazu dienen, um die Eigenschaften von Enzymen in der Biomedizin, dem Umweltschutz und der chemischen und der Nahrungsmittelindustrie zu verbessern.
Wer hat diese Forschung finanziert?
Das Forschungsprojekt wurde durch das tschechische Bildungsministerium und die tschechische Science Foundation, durch die Klaus Tschira Stiftung (Heidelberg), durch das japanische Forschungs- und Bildungsministerium und durch die NATO finanziert.

Protein Engineering Group an der Masaryk University (loschmidt.chemi.muni.cz/peg/) betreibt Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Enzymkatalyse und entwickelt Enzyme für Umwelt-, Chemie- und Biomedizin-Anwendungen. Die Gruppe hat eine besonders hohe Kompetenz in der Enzymmanipulation zum Abbau von Halogenverbindungen.

Masaryk University (www.muni.cz) in Brno ist die zweitgrößte öffentliche Universität in Tschechien, mit mehr als 40.000 Studierenden. Sie wurde 1919 gegründet.

Molecular and Cellular Modeling Group am EML Research (www.eml-research.de/mcm) betreibt Forschung auf dem Gebiet der Entwicklung und Anwendung von computergestützten Methoden, um komplexe biomolekulare Interaktionen zu modellieren und zu simulieren.

EML Research gGmbH (www.eml-research.de) ist ein privates Forschungsinstitut für Grundlagenforschung in der angewandten Informatik. Ein Hauptschwerpunkt der Forschung liegt in der Bioinformatik. Die Forscher arbeiten eng mit Universitäten zusammen. Die EML Research gGmbH bearbeitet Forschungsprojekte der Klaus Tschira Stiftung gGmbH (KTS) (www.kts.villa-bosch.de) und der EU, der DFG und des BMBF. EML Research ist Partner des ersten deutschen Zentrums für Modellierung und Simulations in den Biowissenschaften (BIOMS), Heidelberg (www.bioms.de).

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