Wann macht das Immunsystem krank, wann schützt es?

Es kann gesundes Gewebe von krankem unterscheiden, Infektionserreger erkennen, Fremdstoffe wahrnehmen und diese Störungen dann in den meisten Fällen vollständig beseitigen. Wie ist diese erstaunliche Leistung zu erklären? Und wann haben sich Immunsysteme überhaupt entwickelt?

Antworten auf diese Fragen gibt Professor Thomas Boehm, Max-Planck-Institut für Immunbiologie, Freiburg, für jedermann verständlich in einer öffentlichen Leopoldina*-Vorlesung zum Auftakt des 2nd European Congress of Immunology. Interessierte Bürger sind herzlich eingeladen.

Mit der öffentlichen Leopoldina-Vorlesung „Lernen im Immunsystem: Wann macht es mich krank, wann schützt es mich?“ wollen die Veranstalter des Immunologenkongresses die breite Öffentlichkeit ansprechen. Der Vortrag von Professor Boehm findet am 13. September von 15 bis 16 Uhr in der Halle 3 des ICC Berlin (Neue Kantstraße/Ecke Messedamm, 14057 Berlin) statt. Interessierte sind herzlich eingeladen, diese kostenfreie Vorlesung sowie die sich anschließende Ausstellung zur Geburt der Immunologie (Titel: „The Birth of Immunology“) im Hauptfoyer des ICC zu besuchen. Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf eine spannende Reise durch die rasante Geschichte der Immunologie und ist ebenfalls kostenfrei zugänglich.

Professor Boehm wird die Entwicklung unseres Immunsystems in allgemein verständlicher Weise darstellen und die Bedeutung der Immunologie für unsere Gesundheit verdeutlichen. Schon vor mehr als einer Milliarde Jahren entwickelten die ersten, damals noch sehr einfach gebauten, vielzelligen Lebewesen Abwehrsysteme, die man im weitesten Sinne als Immunsysteme betrachten kann. Zwar waren diese vergleichsweise primitiv, aber doch schon so wirkungsvoll, dass sie es ermöglichten, Schäden zu erkennen und zu beseitigen. Im Gleichschritt mit der Entstehung immer komplizierterer Lebensformen entwickelten sich auch die Immunsysteme immer weiter und haben bei den Säugetieren eine erstaunliche, aber bis heute nur in ihren Grundzügen verstandene Form angenommen. In vergleichenden Studien mit zahlreichen Pflanzen- und Tierarten hat sich herausgestellt, dass sich zwei grundsätzlich verschiedene Formen der Immunabwehr unterscheiden lassen. Gemeinsam ist ihnen die Fähigkeit, Selbst und Fremd zu unterscheiden. Die beiden Grundformen der Immunabwehr unterscheiden sich aber in der Präzision und der Geschwindigkeit, mit welcher der Unterscheidungsprozess von Selbst und Fremd abläuft.

Durch die Erkennung von Fremdstrukturen kann das Immunsystem feststellen, dass beispielsweise eine Virusinfektion vorliegt. Ziel der dann ausgelösten sogenannten Immunantwort ist einerseits, die Ausbreitung des Krankheitserregers einzudämmen oder ganz und gar zu verhindern, und andererseits bereits befallenes Gewebe zu zerstören, um dem nachfolgenden Heilungsprozess Raum zu geben. Alle vielzelligen Organismen, von den Schwämmen im Meer bis hin zum Mensch nutzen das Prinzip der Grobunterscheidung. Dabei werden nur Gruppen verschiedener Infektionserreger, wie Bakterien, Viren oder Pilzen unterschieden, das System erlaubt also keine feine Differenzierung innerhalb einer Erregergruppe, zum Beispiel nach verschiedenen Arten von Bakterien. Die Bekämpfung erfolgt für alle Vertreter einer Gruppe in gleicher Art und Weise. Dennoch hat sich diese Art der Abwehr über Jahrmillionen erhalten, weil sie durch ihre Schnelligkeit der Reaktion besonders effektiv ist.

Allerdings konnten sich zahlreiche Erreger diesem Abwehrsystem über die Zeit anpassen und sich der Erkennung und nachfolgenden Zerstörung immer häufiger entziehen. Dies machte die Infektionsabwehr bei den vor etwa 500 Millionen Jahren entstandenen Wirbeltieren so ineffektiv, dass diese ein neues Abwehrprinzip entwickelten. Es war so erfolgreich, dass es alle Wirbeltiere, deren einfachste Vertreter die Haie und deren höchstentwickelte Vertreter die Menschen sind, es bis heute zum Ausgleich der Schwachpunkte des evolutionär älteren Systems zusätzlich nutzen. Was ist nun das Geheimnis dieser neuartigen Abwehr? Es beruht auf der möglichst feinen Unterscheidung alles Fremdartigen. Es ist so wirkungsvoll, dass es wahrscheinlich jedwede chemische Substanz von allen anderen unterscheiden kann.

Wiewohl diese Erfindung eine neue Ära für die Immunabwehr einläutete und wahrscheinlich auch für den Erfolg der Wirbeltiere in der Evolution mitverantwortlich war, brachte sie jedoch auch eine neue, gänzlich unerwartete Gefährdung mit sich, die Autoimmunkrankheit. Woran liegt das? Das modernere Immunsystem bildet Rezeptoren aus, die den Organismus ständig nach Fremdartigem durchsuchen. Um ein möglichst großes Erkennungsspektrum zu gewährleisten, werden entscheidende Teile dieser Rezeptoren nach Art eines Zufallsgenerators hergestellt, was zur Ausbildung mehrerer Billionen verschiedener Rezeptoren führt. Aufgrund der großen Vielfalt der Rezeptoren kann es zur unerwünschten Erkennung und versehentlichen Bekämpfung körpereigener Strukturen kommen, die zu einer Autoimmunkrankheit, wie beispielsweise zum Diabetes mellitus vom sogenannten Typ I führen kann. Um dieses Problem einzudämmen, haben sich bei Wirbeltieren Systeme entwickelt, die dafür sorgen, dass ein größtmöglicher Teil der selbstreaktiven, das heißt schädlichen, Immunrezeptoren eliminiert wird und nur solche übrig bleiben, die auf Selbststrukturen nicht reagieren können. Allerdings kann dieser Selektionsprozess aufgrund grundlegender physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten nie ganz vollständig ablaufen, obwohl die Evolution in einem ständigen Verbesserungsprozess dafür sorgt, dass das Bestmögliche getan wird. Wenn also diese Selektion versagt oder in anderer Art beeinträchtigt wird, kann es zu krankmachenden Immunantworten gegen gesundes körpereigenes Gewebe kommen.

Im Vortrag werden diese Zusammenhänge durch zahlreiche Beispiele veranschaulicht. Professor Boehm wird aufzeigen, dass ein besseres Verständnis der Funktionen des Immunsystems es ermöglicht, fehlgeleitete Immunreaktionen zu bekämpfen und das normale Gleichgewicht der Abwehr wieder herzustellen.

* Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina ist die älteste ununterbrochen existierende natur-wissenschaftlich-medizinische Akademie der Welt mit einer über 355-jährigen Tradition und mit mehr als 1300 Mitgliedern in aller Welt. Seit 2008 ist sie Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften. Hiermit verbunden ist die wissenschaftsbasierte Politik- und Gesellschaftsberatung sowie die internationale Repräsentanz der Wissenschaft in den Gremien, in denen vorwiegend Nationale Akademien tätig sind.

EFIS (European Federation of Immunological Societies) ist der Dachverband der nationalen immunologischen Fachgesellschaften in Europa. Zu EFIS zählen 28 nationale Fachgesellschaften in 31 europäischen Ländern mit insgesamt 13.000 Mitgliedern. Gemeinsame Plattform ist der European Congress of Immunology, der all drei Jahre stattfindet – in diesem Jahr unter dem Motto: „Immunity for Life – Immunology for Health“ vom 13. bis 16. September in Berlin. Der Kongress bietet über vier Tage ein umfassendes Programm zum aktuellen Wissensstand in der Immunologie. Das Themenspektrum in den mehr als 30 Symposien und 60 Workshops reicht von der Grundlagenforschung bis zur angewandten Immunologie. Im Mittelpunkt stehen die Erkenntnisse zur angeborenen und erworbenen Immunität, die verschiedenen Aspekte immunologischer Erkrankungen sowie die neuesten Möglichkeiten von Immun-Interventionen. Kongresspräsident Professor Reinhold E. Schmidt, Klinik für Immunologie und Rheumatologie der Medizinischen Hochschule Hannover, lädt Journalisten sehr herzlich dazu ein.

Ansprechpartner für Rückfragen:
Prof. Dr. Thomas Boehm
Max-Planck Institute of Immunobiology
Stübeweg 51
D-79108 Freiburg
Phone: (+49 761) 5108-328
E-Mail: boehm@immunbio.mpg.de
Prof. Dr. med. Reinhold E. Schmidt
Klinik für Immunologie und Rheumatologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Str. 1
30625 Hannover
Tel.: +49-511-532-6656
Fax: +49-511-532-9067
E-Mail: immunologie@mh-hannover.de
Internet: www.mh-hannover.de/kir.html
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Pressereferentin ECI 2009 Berlin
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