Gestörte Nervenzell–Kommunikation begünstigt Autismus

Entsprechende Ergebnisse sind kürzlich in der Fachzeitschrift „Public Library of Science – Genetics“ veröffentlicht worden. Unter den Autoren finden sich Professor Tobias Böckers, Dr. Christian Pröpper und Jutta Heinrich vom Ulmer Institut für Anatomie und Zellbiologie.

Sie haben mit Wissenschaftlern des renommierten Instituts Pasteur, des französischen Nationalen Zentrums für Wissenschaftliche Forschung (CNRS) sowie weiterer europäischer Einrichtungen zusammengearbeitet. Die neuen Erkenntnisse untermauern die Annahme, dass Störungen an synaptischen Kontakten des zentralen Nervensystems ursächlich für Autismus sind.

Unter dem Sammelbegriff Autismus werden verschiedene neuronale Entwicklungsstörungen zusammengefasst. Symptome setzen meistens in der Kindheit ein und umfassen zum Beispiel soziale Isolation, eine beeinträchtige Sprachentwicklung und stereotype Verhaltensmuster. Genetische Ursachen sind noch nicht vollständig verstanden: Mit autistischen Störungen haben Wissenschaftler bereits Mutationen in mehr als 100 Genen assoziiert. Allerdings bleibt es schwierig, ihre genauen Rollen und hierarchischen Bedeutungen im neuronalen Funktionsgefüge zu bestimmen.

Bei genetischen Analysen hat die Forschergruppe jetzt neue Mutationen im so genannten Shank2-Gen nachgewiesen. Diese Veränderungen können bei einigen Patienten sogar zum kompletten Verlust einer Genkopie führen. Das Shank2-Gen kodiert ein synaptisches Protein und ist somit für die Vernetzung von Nervenzellen mitverantwortlich. Anhand von neuronalen Zellkulturen haben die Wissenschaftler gezeigt, dass die Mutationen mit einer reduzierten Synapsen-Zahl und somit einer gestörten neuronalen Kommunikation einhergehen können.

Eine detaillierte Untersuchung von Patienten, denen eine Genkopie fehlt, hat zusätzliche chromosomale Anomalien aufgezeigt. Diese seltenen Anomalien werden bereits mit anderen neuropsychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung synaptischer Gene bei Autismus“, erklären die Professoren Thomas Bourgeron und Tobias Böckers, die schon seit einigen Jahren erfolgreich zur Thematik „Analyse neuropsychiatrischen Erkrankungen“ zusammenarbeiten. Weiterhin wiesen die Erkenntnisse auf die Existenz modifizierender Gene hin, die Symptome verschiedener autistischer Störungen angleichen könnten.
Unterstützt wurden die Untersuchungen im Institut für Anatomie und Zellbiologie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Medizinischen Fakultät der Uni Ulm.

Weitere Informationen: Prof. Dr. Tobias M. Böckers, Tel.: 0731/500-23220

Leblond CS , Heinrich J , Delorme R , Proepper C , Betancur C , et al. 2012 Genetic and Functional Analyses of SHANK2 Mutations Suggest a Multiple Hit Model of Autism Spectrum Disorders. PLoS Genet 8(2): e1002521. doi:10.1371/journal.pgen.1002521
Text: Isabelle Kling, Institut Pasteur
Übersetzung/Bearbeitung: Annika Bingmann, Universität Ulm

Media Contact

Annika Bingmann idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-ulm.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer