Der Evolutionsvorteil der Strandschnecke

Strandschnecken könnten durch evolutionäre Anpassung an schwermetallreiche Umgebungen lebensfähiger sein (c) Wiley-VCH

Kleine, schwefelreiche Proteine (sog. Metallothioneine) können Schwermetalle spezifisch binden. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat nun entdeckt, dass die gemeine Strandschnecke, vielerorts eine Meeresfrüchte-Spezialität, die bislang größte Version dieses Proteins mit einer zusätzlichen Cadmium-bindenden Domäne und einer um ein Drittel höheren Metall-Aufnahmekapazität beherbergt.

Wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten, könnte diese evolutionäre Anpassung sie in schwermetallreicher Umgebung lebensfähiger gemacht haben.

Schnecken (z.B. die Weinbergschnecke) können große Mengen an Schwermetallen unbeschadet anreichern und somit entgiften. Sie können dabei sogar Cadmium und Kupfer voneinander trennen, denn letzteres Element benötigen sie für ihren Stoffwechsel, Cadmium dagegen ist giftig. Zum Entgiften binden sie Cadmium an Metallothioneine, eine Familie von kleinen Metalloproteinen mit sehr vielen Cystein-Resten. Cystein ist eine schwefelhaltige Aminosäure.

Oliver Zerbe an der Universität Zürich und Reinhard Dallinger von der Universität Innsbruck und Kollegen aus Barcelona gehen der Frage nach, inwieweit die Entwicklung dieser Proteine eine mögliche Anpassungsstrategie von Gastropoden an ihre neuen Umweltbedingungen darstellt – die von den Meeresschnecken abstammenden Landschnecken mussten sich ja mit der größeren Konzentration von Schwermetallen im Landboden zurechtfinden.

Ein noch unwirtlicherer Lebensraum als das Land ist jedoch die Küste mit ihrem stark schwankenden Wasserangebot, was die halb terrestrisch, halb maritim lebende Schnecke Littorina littorea (gemeine Strandschnecke), die sehr erfolgreich die nordatlantischen und europäischen Küsten besiedelt hat, offenbar zu einer besonders effizienten Entgiftungsstrategie auf molekularer Ebene brachte.

Die Wissenschaftler wollten herausfinden, wie sich die Proteine zwischen den verschiedenen Spezies unterscheiden. Dafür bestimmten sie die räumliche Struktur des Metallothioneins der Strandschnecke mit kernmagnetischen Resonanztechniken und verglichen diese dann mit anderen bekannten Strukturen und Sequenzen.

Das überraschende Ergebnis war, dass das Strandschnecken-Protein drei und nicht wie bei den bekannten Metallothioneinen zwei unabhängige Proteindomänen besitzt. Jede der drei Domänen enthält neun Cysteine, die jeweils drei Cadmiumionen binden.

Die insgesamt 27 Cysteinreste des Proteins können also neun Cadmiumionen aufnehmen. Dies erklärt die Strategie der Anpassung: „Durch Vermehren der Domänenzahl erhöht sich ganz einfach die Kapazität des Proteins, Metalle zu binden, was die Entgiftungskapazität deutlich steigert“, schreiben die Autoren in ihrer Studie.

Räumlich ähnelt der Komplex mit Cadmium sehr stark dem der Weinbergschnecke. Diese Landschneckenart kann sehr gut zwischen den lebenswichtigen Kupfer- und den giftigen Cadmiumionen unterscheiden. Außer der Aufgabe, cadmiumreiche Umgebungen zu tolerieren und Kupfer von anderen Schwermetallen abzugrenzen, gelten die Metallothioneine auch als wichtiger Faktor bei der Reaktion auf oxidativen Stress. Stress erlebt die Strandschnecke auf ihren mal meerumtosten, mal vollkommen trockenfallenden Standorten reichlich.

Angewandte Chemie: Presseinfo 10/2017

Autor: Oliver Zerbe, Universität Zürich (Switzerland), http://www.chem.uzh.ch/zerbe/

Link zum Originalbeitrag: https://doi.org/10.1002/ange.201611873

Angewandte Chemie, Postfach 101161, 69451 Weinheim, Germany.

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Dr. Karin J. Schmitz Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.

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