„Blitzableiter“ schützt Zellen vor oxidativen Schäden

Molekülmodell des Acetylcysteins © Tobias Dick/DKFZ

Acetylcystein ist gut bekannt als Hustenlöser, rezeptfrei erhältlich in jeder Apotheke. Weniger bekannt ist der Einsatz des Wirkstoffs als Gegengift bei der Überdosierung von Paracetamol, die zu schweren Leberschäden führen kann. Acetylcystein kann in diesem Fall das Schlimmste verhindern, wenn es rechtzeitig verabreicht wird.

Dem Acetylcystein wird allgemein eine zellschützende und antioxidative Wirkung zugeschrieben, was zahlreiche Experimente bestätigen: Acetylcystein senkt den Spiegel zelleigener Oxidantien und mildert die giftige Wirkung oxidierender Fremdstoffe. In der experimentellen biomedizinischen Forschung ist Acetylcystein deshalb eines der am häufigsten verwendeten Antioxidantien.

Wie Acetylcystein tatsächlich seine antioxidierende Wirkung entfalten kann, war jedoch bisher kaum verstanden. Die alte Annahme, dass die Wirkung von Acetylcystein auf einer direkten Reaktion mit Oxidantien beruht, hat sich nicht bestätigt. Trotz der häufigen Verwendung von Acetylcystein sind die Mechanismen hinter seiner Wirkung weitgehend im Dunkeln geblieben.

Forscher am DKFZ fanden nun eine ganz neue Erklärung für die antioxidative und zellschützende Wirkung des Acetylcysteins. Sie verfolgten den Abbau der Verbindung in menschlichen Zellen und beobachteten, dass Acetylcystein zu Schwefelwasserstoff umgesetzt wird. Schwefelwasserstoff ist bekannt als sehr giftiges Gas, doch inzwischen weiß man, dass körpereigener Schwefelwasserstoff physiologische Funktionen erfüllt.

Tatsächlich erreicht der aus Acetylcystein gebildete Schwefelwasserstoff keine giftigen Konzentrationen, denn er wird rasch in eine andere Art von Schwefelverbindung umgewandelt, in sogenannte Persulfide. Über deren Funktion in der Zelle ist bisher kaum etwas bekannt.

Die Befunde der DKFZ-Forscher legen nahe, dass Persulfide die eigentlichen antioxidativen Wirkstoffe sind. So ahmte eine Behandlung von Zellen mit synthetischen Persulfiden die antioxidative Wirkung des Acetylcystein nach, und das schon bei wesentlich niedrigeren Konzentrationen. „Persulfide binden an Proteine und schützen diese, vermutlich indem sie die Oxidation auf sich lenken, ähnlich wie ein Blitzableiter“, so Tobias Dick, Leiter des Studie.

„Wir verstehen jetzt viel besser, wie Acetylcystein Zellen vor oxidativen Belastungen schützen kann“, sagt Daria Ezerina, Doktorandin und Erstautorin der Studie. „Man sollte daraus aber nicht ableiten, dass es eine gute Idee ist, Acetylcystein als Nahrungsergänzungsmittel dauerhaft und in hoher Dosierung einzunehmen. Denn auch Tumorzellen, die unter Stress stehen, könnten von dem Zellschutz profitieren.“ Schwedische Krebsforscher zeigten schon vor einigen Jahren, dass die dauerhafte Gabe von Acetylcystein bei Mäusen das Tumorwachstum und die Metastasierung fördern kann.

Ezeriņa D, Takano Y, Hanaoka K, Urano Y, Dick TP (2018) N-acetyl cysteine functions as a fast-acting antioxidant by triggering intracellular H2S and sulfane sulfur production.
Cell Chemical Biology, doi:10.1016/j.chembiol.2018.01.011

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Ansprechpartner für die Presse:

Dr. Sibylle Kohlstädt
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
T: +49 6221 42 2843
F: +49 6221 42 2968
E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
E-Mail: presse@dkfz.de

www.dkfz.de

Media Contact

Dr. Sibylle Kohlstädt idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Diamantstaub leuchtet hell in Magnetresonanztomographie

Mögliche Alternative zum weit verbreiteten Kontrastmittel Gadolinium. Eine unerwartete Entdeckung machte eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart: Nanometerkleine Diamantpartikel, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt…

Neue Spule für 7-Tesla MRT | Kopf und Hals gleichzeitig darstellen

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglicht detaillierte Einblicke in den Körper. Vor allem die Ultrahochfeld-Bildgebung mit Magnetfeldstärken von 7 Tesla und höher macht feinste anatomische Strukturen und funktionelle Prozesse sichtbar. Doch alleine…

Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze

Projekt HyFlow: Leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem für moderne Energienetze. In drei Jahren Forschungsarbeit hat das Konsortium des EU-Projekts HyFlow ein extrem leistungsfähiges, nachhaltiges und kostengünstiges Hybrid-Energiespeichersystem entwickelt, das einen…

Partner & Förderer