Wie Bakterien ihre Strategien optimieren

Für ihre Analyse der Strategien von Bakterien in komplexen, natürlichen Umgebungen erhalten sie nun den Wissenschaftspreis des Stifterverbands – Erwin Schrödinger-Preis. „Mit diesem Preis werden Ergebnisse ausgezeichnet, die durch enge Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen und meist auch zusammen entstanden sind“, betont Prof. Dr. Jürgen Mlynek, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, die diesen Preis abwechselnd mit dem Stifterverband finanziert.

Die Preisträger kommen aus den Bereichen Biologie, Mathematik und Bioinformatik und haben gemeinsam eine völlig neue, zukunftsweisende Theorie zur bakteriellen Kommunikation aufgestellt, die sowohl auf medizinische als auch auf ökologische Fragestellungen angewandt werden kann. Der Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und wird auf der Jahrestagung der Helmholtz-Gemeinschaft am 12. September 2007 in Berlin überreicht.

Langfassung:

Auch Bakterien „reden“ miteinander: Sie senden chemische Botenstoffe aus, die von Artgenossen aufgenommen werden. Doch was haben sie sich zu sagen? Und wie leiten sie daraus ab, was sie tun müssen? Denn bakterielle Gemeinschaften sind zu erstaunlich komplexen, kollektiven Handlungen imstande. Sie können zum Beispiel einen Biofilm bilden oder Stoffe produzieren, um unter widrigen Bedingungen zu überleben. Entdeckt wurde die mikrobielle Kommunikation zunächst unter stark vereinfachten Bedingungen im Labor. So begannen Kulturen des Leuchtbakteriums Vibrio fischeri stets ab einer bestimmten Zelldichte zu leuchten. Dieser Schwellenwert – Quorum – wurde offensichtlich als Startschuss für die chemische Leucht-Reaktion verstanden (Quorum Sensing). Allerdings hatte diese Erklärung einen Schwachpunkt: Von der Leucht-Reaktion ihrer Artgenossen profitierten eben auch solche Bakterien, die ihren Stoffwechsel schonten. Solche „Schmarotzer“ würden sich jedoch über kurz oder lang stärker vermehren und damit das kooperative Phänomen zum Erliegen bringen.

Die andere Erklärung kommt ohne Kooperation aus: Denn die Bakterien könnten auch einfach aus der Konzentration der Signalmoleküle ableiten, wie viel freier Raum in ihrer unmittelbaren Umgebung zur Verfügung steht (Diffusion Sensing). Allerdings vernachlässigt diese Theorie die Bedeutung der räumlichen Verteilung der Bakterien in ihrem Lebensraum.

Nun hat eine Gruppe aus Biomathematikern und Biologen vom Helmholtz-Zentrum GSF und der Universität Bonn gezeigt, dass Bakterien in natürlichen Umgebungen, die weitaus komplexer sind, eine Gesamtstrategie nutzen, die sich nur in einfachen Extremfällen auf Diffusion Sensing oder Quorum Sensing reduzieren lässt. Erst mit dieser Gesamtstrategie, dem „Efficiency Sensing“ können Bakterien feststellen, ob sich in ihrer Umwelt der Energieaufwand lohnt, um Antibiotika zu produzieren oder einen Biofilm zu bilden. Die Wissenschaftler untersuchten dafür den Lebensraum an Wurzeloberflächen im Boden, die so genannte Rhizosphäre. Hier findet sich ein hochkomplexes und kleinräumig verzahntes Gemisch aus Feststoffen, Gelen, Flüssigkeiten und Gasen, in denen zahllose Organismen und Lebensgemeinschaften kreuz und quer miteinander „palavern“. Dieses Beispiel haben Dr. Burkhard Hense und Dr. Christina Kuttler vom GSF-Institut für Biomathematik und Biometrie (IBB) modelliert, indem sie eng mit Professor Dr. Anton Hartmann und Dr. Michael Rothballer von der GSF-Abteilung Mikroben-Pflanzen-Interaktionen (AMP) sowie dem theoretischen Biologen Dr. Jan-Ulrich Kreft von der Universität Bonn zusammen gearbeitet haben.

Hense und Kuttler konnten zeigen, dass die Kommunikation in der Rhizosphäre nicht nur von der Zelldichte oder der Grö-ße der Umgebung abhängt, sondern auch stark von der räumlichen Verteilung der Bakterien. Die Mikroben nehmen immer eine Mischung aus Zelldichte, Zellverteilung und Diffusionslimitierung durch räumliche Bedingungen wahr und es kommt dabei auf die genauen Umstände an, welcher Aspekt die Oberhand gewinnt. Das „Schmarotzerproblem“ wird dabei durch Zusammenballung eng verwandter Organismen gelöst, die an den Wurzeloberflächen „klonale Mikrokolonien“ bilden. Und da so alle Verwandten in nächster Nähe sitzen, „lohnt“ sich genetisch gesehen auch die Kooperation – Fremde bleiben weitgehend ausgeschlossen.

„Die Preisträger haben damit erstmals eine Theorie vorgestellt, die den großen Nutzen und die mannigfaltigen Funktionen der bakteriellen Kommunikation zeigt. Und ihre Theorie kann jetzt auf vielfältige medizinische aber auch ökologische Prob-leme angewendet werden“, schreibt ein Fachgutachter, der die Arbeit bewertet hatte. Diese besonders gelungene Art der interdisziplinären Zusammenarbeit erschließt neue Sichtweisen auf das Gebiet der bakteriellen Kommunikation und dürfte langfristig neue Möglichkeiten aufzeigen, in das bakterielle Signalsystem gezielt einzugreifen: Zum Beispiel in der Land-wirtschaft, um bestimmte Bodenbakterien zu unterstützen oder in der Medizin, um bei bakteriellen Infektionen die Bildung von Biofilmen zu verhindern.

Die Preisträger:
Dr. Burkhard A. Hense, GSF, Institut für Biomathematik und Biometrie IBB
Dr. Christina Kuttler, GSF, IBB
Prof. Dr. Johannes Müller, TU München und GSF, IBB
Dr. Michael Rothballer, GSF-Abteilung Mikroben-Pflanzen-Interaktionen (AMP)
Prof. Dr. Anton Hartmann, GSF-AMP
PD Dr. Jan-Ulrich Kreft, Universität Bonn, Theoretische Biologie.
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