Botenstoff-Recycling ermöglicht Fliegen gutes Sehen

Die ununterbrochene Ausschüttung des Botenstoffs Histamin im Facettenauge ermöglicht der Taufliege (Drosophila melanogaster) die blitzschnelle Wahrnehmung auch geringer Veränderungen der Lichtintensität. Wie es die Fliegen schaffen, die notwendige Zufuhr von Histamin ohne eine „kostspielige“ Neubildung aufrecht zu erhalten, untersuchten Biochemiker der Ruhr-Universität um Prof. Dr. Bernhard Hovemann (AG Molekulare Zellbiochemie) gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam. Sie konnten nachweisen, dass das Enzym Tan direkt vor Ort in den Photorezeptorzellen des Auges den nach Signaltransfer inaktivierten Botenstoff Histamin recycelt. Darüber berichten sie im Journal of Comparative Neurology, das den Beitrag zur Titelstory kürte.

Recycling gleich vor Ort

Die beiden Enzyme Tan und Ebony, das die Bochumer Forscher im Jahr 2003 erstmals charakterisiert haben, sind bei der Taufliege in verschiedenen Rollen aktiv. Sie spielen sowohl bei der Bildung der Kutikula der Fliegen mit – Tan reguliert hier die Konzentration des Dopamins, das später in den Farbstoff Melanin umgewandelt wird, weswegen Mutanten, denen Tan fehlt, heller aussehen als ihre Artgenossen – als auch bei der Signalübertragung des Sehsystems. Im Facettenauge mit seinen ca. 800 Einzelaugen (Ommatidien) wird der Botenstoff Histamin unentwegt ausgeschüttet. Wie alle Neurotransmitter ist auch Histamin nur kurzzeitig aktiv: Das Enzym Ebony inaktiviert Histamin durch Umwandlung in Beta-Alanyl-Histamin. Diese Inaktivierung geschieht in den so genannten Gliazellen, die den Photorezeptorzellen im Fliegenauge benachbart sind. Aufgabe des Enzyms Tan ist es dann, das Anhängsel Beta-Alanin wieder abzuspalten und so den Neurotransmitter Histamin zu reaktivieren. Die Forscher konnten jetzt zeigen, dass der Recyclingprozess durch Tan direkt in den Photorezeptorzellen geschieht, wo Histamin dann erneut zur Ausschüttung zur Verfügung steht.

Die Arbeitsplätze der Enzyme

„Die zelluläre und subzelluläre Lokalisierung des Tan-Enzyms ist entscheidend für das Verständnis des Wegs, den der notwendige Histamin-Recycling-Prozess im Auge einschlägt“, erklärt Prof. Hovemann die Bedeutung der Ergebnisse. „Mit der Klärung dieser Frage konnten wir das Verständnis des Transmitter-Kreislaufs einen entscheidenden Schritt voran bringen.“ Die Forscher zeigten, dass Tan ausschließlich in den acht neuronalen Photorezeptorzellen auftritt, das heißt getrennt, aber direkt benachbart zum Gegenspieler Ebony (Bild A). Die direkte räumliche Nähe von Tan und Ebony zeigt sich in den so genannten Lamina Cartridges, in denen jeweils drei Gliazellen die Fortsätze (Axone) der Photorezeptorzellen 1 bis 6 umhüllen. Ebony wird hier ausschließlich in Gliazellen exprimiert (Bild B und C), während Tan nur in den neuronalen Photorezeptorzellen auftritt. Dieselbe Aufteilung fanden die Forscher in der Medulla, neben der Lamina das zweite optische Verschaltungszentrum, wo in der Aufnahme die axonalen Endigungen der Photorezeptorzellen 7 und 8 mit Tan-Signalen Seite an Seite mit den Ebony-Signalen der Gliazellen auftreten (Bild D).

Verwandtschaft mit Pilzenzymen der Antibiotika Synthese

Der Aufbau von Tan, d.h. die Abfolge der Aminosäuren, zeigt überraschenderweise eine enge Verwandtschaft mit einem Enzym der Penicillin-Synthese (Isopenicillin-N N-Acyltransferase (IAT) aus Penicillium chrysogenum) aus der Familie der Cystein Peptidasen. Das Team um Prof. Hovemann fand heraus, dass sich Tan wie IAT erst durch eine „Selbstspaltung“ (autoproteolytischer Schritt) aktivieren muss. „Da IAT verschiedene Reaktionen katalysieren kann, können wir zusätzliche Aktivitäten von Tan im Insektenauge noch nicht ausschließen“, so Prof. Hovemann.

Titelaufnahme

Stefanie Wagner, Christiane Heseding, Kamila Szlachta, John R. True, Heino Prinz, Bernhard T. Hovemann: Drosophila photoreceptors express cysteine peptidase tan. In: Journal of Comparative Neurology, Volume 500, Issue 4 (1 February 2007), p 601-611, Published Online: 8. Dezember 2006. DOI: 10.1002/cne.21138, http://www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/jhome/31248

Weitere Informationen

Prof. Dr. Bernhard Hovemann, Fakultät für Chemie und Biochemie der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-24235, Fax: 0234/32-14235, E-Mail: bernhard.hovemann@rub.de

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