Neue Ära in der Stellwerkstechnik

In diesem Jahr gehört der Schweizer Anton Reichlin zu den Preisträgern. Der 63-jährige ETH-Ingenieur arbeitet bei Siemens Schweiz in Wallisellen. Seine patentierten Erfindungen bilden die Basis für eine neue Ära in der Stellwerkstechnik. Im Oktober 2013 ist die erste auf der neuen Technologie basierende Anlage in Sevelen im Kanton St. Gallen in Betrieb gegangen. Viele Bahngesellschaften, darunter auch die Deutsche Bahn AG, haben bereits grosses Interesse an der neuen Technik signalisiert.

Siemens investiert jährlich rund 4,3 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE) und beschäftigt derzeit weltweit 29 800 FuE-Mitarbeitende. Die Zahl der erteilten Siemens-Patente stieg im Geschäftsjahr 2013 um fünf Prozent auf rund 60 000. Massgeblich dazu beigetragen haben zwölf Siemens-Forscher, die zusammen für rund 600 Erfindungsmeldungen und über 500 erteilte Einzelpatente verantwortlich sind.

Der Winterthurer Anton Reichlin hat eine neue Netzwerktechnologie namens Sinet und eine neue Energiezuführung (Sigrid) entwickelt. Diese zwei Systeme werden die Kommunikation zwischen Stellwerk und den Steuergeräten am Gleis (Element Controller) noch zuverlässiger machen und damit die Sicherheit im Zugverkehr weiter erhöhen. Das erste System Sinet (Siemens Interlocking Network) soll in Zukunft die bisherigen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen dem Stellwerk und den Element Controllern durch ein ringförmiges Kommunikationsnetz ersetzen. Dieses arbeitet zuverlässiger und wirtschaftlicher als die aufwändig zu installierenden Leitungen, die derzeit noch flächendeckend im Einsatz sind.

Bahntechnik ist langlebig. Die vielen tausend Kilometer Bahnstrecken mit ihren technischen Geräten in jedem Land bedeuten enorme Investitionen, die sich erst bei einem Einsatz über Jahrzehnte hinweg lohnen. Deswegen halten Technologien, die bereits lange in anderen Bereichen Standard sind, in dieser Branche erst wesentlich später Einzug. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die moderne Netzwerktechnologie, wie sie jeder aus dem Büro kennt, auch die Signalübermittlung zwischen den Stellwerksrechnern und den Element Controllern von Grund auf erneuert. Analog zur Kommunikationstechnik soll auch die Energiezuführung zu den Element Controllern mit einer neuen Technologie erfolgen. Dabei sollen die heutigen kabelintensiven Punkt-zu-Punkt-Verbindungen durch bus- oder ringförmige Strukturen ersetzt werden. Des Weiteren ermöglichen Energiepuffer entlang des Gleises den Einsatz von dünneren Kabeln. Dadurch sinkt der Kupferbedarf zusätzlich.

Der von Siemens prämierte Erfinder Anton Reichlin arbeitet bei der Division Mobility and Logistics in Wallisellen. Er hat das Projekt Sinet (Siemens Interlocking Network) in der Machbarkeitsphase geleitet und ist zudem verantwortlich für das Projekt Sigrid (Smart Interlocking Grid).

Bei der heute im Einsatz stehenden Technik laufen mehrere, meist automatisierte Prozesse ab, bevor ein Bahnsignal von Rot auf Grün wechselt. So prüft das Stellwerksystem bei einem nahenden Zug, ob der Streckenabschnitt wirklich frei ist. Anschliessend werden die erforderlichen Weichen gestellt, Bahnschranken gehen herunter, und erst wenn all diese Vorgänge wiederum vom Stellwerk geprüft wurden, schaltet das Signal auf Grün. Für sämtliche Prozesse sind Steuergeräte, Element Controller genannt, notwendig, die entsprechend dem Kommando des Stellwerksrechners z.B. die Lichtpunkte des Signals steuern oder die Weiche in die richtige Position bringen. Jeder Element Controller ist mit seinem korrespondierenden technischen Gerät am Gleis per Kupferkabel verbunden. Die Ansteuerung erfolgt heute bei Signalen und Bahnübergangssteuerungen über ISDN, was die mögliche Distanz zwischen Stellwerkrechner und Element Controller auf sechs bis zehn Kilometer begrenzt. Ist die Leitung unterbrochen oder das Kommandosignal gestört, kann das betreffende Signal nicht mehr umgeschaltet oder überwacht werden, was zur Folge hat, dass dieser Streckenabschnitt blockiert ist.

Sinet soll in Zukunft dieses System ersetzen: Die bisherigen Punkt-zu-Punkt-Verbindungen über ISDN zu den Element Controllern werden durch ein Netzwerk mit Ringstrukturen ersetzt. Dies ermöglicht redundante Übertragungswege zwischen den Stellwerkrechnern und den Element Controllern. Weitere Vorteile sind die zentrale Überwachung des Schienenverkehrsnetzes und geringere Servicekosten. Die Ringleitungen übernehmen die lokale Anbindung der Geräte an den Gleisen über Kupferleitungen auf der Basis herkömmlicher DSL-Verbindungen. Während also die Stellteile dezentralisiert werden, können die eigentlichen Stellwerkfunktionen für grössere Streckenabschnitte als bislang zusammengefasst werden. Die an Bedeutung gewinnende Diagnose kann sowohl lokal wie auch von Ferne erfolgen.

Zurzeit erprobt Siemens gemeinsam mit Partnern das System im Feldtest und seit Oktober 2013 ist die erste Sinet-Anlage in Sevelen bei der SBB in Betrieb. Dort wurden fünf Kilometer einer gut befahrenen Hauptstrecke umgerüstet. Viele Bahngesellschaften, darunter auch die Deutsche Bahn AG, haben bereits grosses Interesse an der neuen Technik signalisiert.

Anton Reichlin hat diese Innovationen in Gang gebracht. „Es ist sehr schön, am Ende meiner Karriere die Umsetzung der Arbeit zu sehen“, erklärt Reichlin, der nächstes Jahr in den Ruhestand gehen wird. Sein Studium der Elektrotechnik hat er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich absolviert. Zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn konzentrierte er sich zunächst auf Medizintechnik und dann auf Automatisierung und dezentrale Steuerungssysteme in der Industrie. Von 1995 bis 2005 war Reichlin bei Siemens in der Schweiz Abteilungsleiter Entwicklung elektronischer Stellwerke und ab 2005 in der Stabstelle Entwicklung u.a. für Sinet/Sigrid zuständig. „Wenn ich an einem neuen System arbeite, sehe ich mir immer die Anlagen vor Ort an, um ein gutes Gefühl dafür zu bekommen, was wirklich eine Verbesserung ist“, erklärt Reichlin. Jetzt freut er sich auf Reisen mit seiner Frau, die beiden Kinder sind längst erwachsen. Ausserdem hat Reichlin eine Menge privater Forschungsprojekte in Planung: „Die Software und der 3D-Drucker für meine Tüfteleien sind bereits bestellt.“

Eray Müller
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