DIGITALER Burnout: Im Expertengespräch

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Drei Stunden täglich befassen wir uns im Schnitt mit dem Gerät, 55 Mal am Tag nehmen wir es zur Hand. Ständig sind wir abgelenkt, unkonzentriert, gestört. Alexander Markowetz zeigt, welche Folgen die digitale Permanenz für unsere Gesundheit, unser Leben und unsere Gesellschaft hat und was wir dagegen tun können.

Im Gespräch mit Alexander Markowetz und Horst Kraemer, Experte für Stressprävention und Pionier der Stressforschung.

Frage an Prof. Markowetz: >>Den „Handynacken“ kennen wir schon, gesonderte Gehwege für Handynutzer wie in China haben wir zum Glück noch nicht. Was war die Intention zu dem Buch, welche Ergebnisse haben Sie selber erstaunt?

AM: Erstaunt hat mich schon, dass ich zum Einen mein eigenes Nutzungsverhalten beobachtet habe und trotzdem nicht gemerkt habe, was mit mir passiert. Als wir zunehmend feststellten, dass das sehr vielen Leuten so ging, wollten wir näher dran an die Thematik. Und in der Tat hatten wir natürlich die glückliche Situation, im Umfeld einer Universität der Sache wissenschaftlich auf den Grund gehen zu können. Was mich erstaunt hat? Nun ja, eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 2,5 Stunden pro Tag ist schon ein gewisser Wert mit Aha-Faktor, aber auffällig war mich dann im Endeffekt die Erkenntnis, dass unser Alltag zunehmend komplett fragmentiert ist und was das mit uns macht. Auf der einen Seite ist dieser Umstand beängstigend, andererseits bringt die Beschäftigung mit Ursache/Wirkung auch Klarheit und man weiß, wie man es auch wieder aus der Falle heraus schafft.

>>Ab wann macht exzessive Nutzung tatsächlich krank? Sie reden von übermäßig emotionaler und psychischer Anstrengung, kann man das beziffern?)

AM: Auf der einen Seite gibt es noch keine Langfriststudien, die die Effekte zahlenmäßig belegen. Das bedeutet aber nicht, dass etwas, was noch nicht über Jahre und im Detail vermessen werden konnte, nicht existiert. Die Effekte erleben wir ja trotzdem Wenn jemand auf Dauer im Sinne eines kollektiven „Anti Yoga“ jeden Tag mehrere Stunden in orthopädisch ungesunden Positionen verharrt und vor lauter Multitasking nicht mehr zum eigentlichen Kern findet, dann macht uns dies halt ungesünder, zerstreut und aggressiver.

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>>Stichwort: Totale Fragmentierung des Alltags, was ist darunter zu verstehen?

AM: Das ist die Dauernde Unterbrechung, die ich mir selber antue genauso wie die Unterbrechung, die von außen kommt, also durch Dritte oder externe Störfaktoren. Durch dieses selbstauferlegte Multitasking sowie die ständigen Messages von „draußen“ ergibt sich auf Dauer ein Zustand, der das Gegenstück zu einem Flow ergibt. Irgendwann erzielt man dann nämlich weder Ergebnisse noch Glücksgefühle und dreht im Laufrad. Und selbst wenn wir das erkannt haben: Der Appell an die Ratio reicht nicht aus. Fazit: Digital Detox mal ab und an ist einfach, eine Änderung des persönlichen Alltags ist wesentlich schwieriger.

>> Im Kapitel Betriebsschaden- Wie wir endlich wieder zum Arbeiten kommen, werden die Folgen des Digitalen Präsentismus sehr anschaulich dargestellt und auf den Wertewandel hingewiesen, der gebraucht wird: Digitale Kommunikationsetikette und Wertschätzung. Wer sollte solch eine Etikette durchsetzen?

AM: Wir müssen Lernen Verantwortung zu übernehmen und da sind wir ganz schnell in der Wirtschaft. Letztendlich leben wir in einer Wissensgesellschaft und schaffen damit Wohlstand. De Firmen, die ganz bewusst und am ehesten Ressourcen schonen, werden sich durchsetzen. Für die geforderte Kommunikationsetikette heißt das, wir müssen uns sehr schnell Gedanken um die dauernden Unterbrechungen machen. In unserer Wissensgesellschaft gibt es ja eine gewissen Kongruenz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, beide wollen dasselbe, nämlich fokussiert und mit klarem Kopf durch den Tag gehen. Doch das muss kommuniziert und in Unternehmen gelebt werden. Im Ergebnis sähen wir radikale Effizienzsteigerungen, die Leute sind fokussierter, digitaler Präsentismus geht auch nicht mehr so einfach und durch intelligentere Abläufe im Arbeitsalltag geht es allen Beteiligten besser. Wer es machen soll? Im Verbund wäre die Idealbesitzung vermutlich die IT, die BGM und HR Manager, Betriebsrat und wesentliche Meinungsmacher.

Fragen an Horst Kraemer

>>Herr Kraemer, Sie sind seit 1982 am Thema Stressfolgen „dran“. Stresserkrankungen gab es ja auch schon vor Smartphone und Co, was ist die neue Qualität?

HK: Wir haben es mit einer enormen Zunahme der Informationsflut zu tun, ebenso mit der Geschwindigkeit, mit der das alles verarbeitet werden muss. Das wird zur zunehmenden Belastung. Bei Menschen, die auf den Bildschirm schauen, ist das Gehirn im „Bildschirmmodus“. Neue Informationen von außerhalb können weniger aufgenommen und verarbeitet werden. Die wirkliche produktive Leistung und subjektive Empfindung kann zum Teil heftig auseinander klaffen und gibt uns manchmal ein unrealistisches Bild. Durch exzessiven Digitalkonsum verändert und reduziert sich unsere Stressresistenz (Thema Synapsen und Verschaltungen). Die Kontakte am Screen nehmen zu, die realen Kontakte nehmen ab. Digitale Aktivität, digitale Informationsverarbeitung passiert zunehmend nur auf der gedanklichen Ebene. Das kann gefährlich werden, wenn wir keinen Ausgleich schaffen. Mit dem Smartphone Dauermodus wird die Aufmerksamkeit fragmentiert, und eines der Kernprobleme ist, dass die Konzentration auf eine Aufgabe/eine bestimmte Arbeit immer weniger möglich wird.

>>Warum flüchten wir uns so gerne in digitale Welten?

HK: Es laufen Belohnungsrituale ab, im Ergebnis steht eine hormonell bedingte Realitätsferne, ein Ausnahmezustand. In der realen Welt muss man sich mit direktem Feedback auseinandersetzen. Das ist viel anspruchsvoller. Digital ist bequemer und vermittelt unterbewusst: ich muss mich dem Hier und Jetzt nicht stellen. Dann haben wir noch den Effekt des Gewinnens/Verlierens: Digitale Töne lösen Erwartungshaltungen aus – ähnlich wie beim Spielautomaten. Im Vergleich zur Spielhalle, die wir verlassen, bleibt die digitale Welt Stand-by: quasi ein gedopter Dauerzustand. Die Flucht in virtuelle Welten wird für viele auch zum Wohlfühlfaktor, den man gerne immer wiederholt.

Im Grunde wäre dies auch nicht problematisch, wenn gezielt neue Rituale entgegengesetzt würden, z.B. ein neues Gesundheitsbewusstein, Offline Rituale, Entspannung, Selbststeuerung.
Lösungen gibt es – aber die Aufklärungsarbeit ist langsamer als der digitale Flow.

>>Kann man alleine gegensteuern oder braucht es Hilfe?

HK: Das ist sicher eine Frage des Typus. Während der eine die Thematik erkennt und die schnelle Lösung findet, benötigt der andere Sensibilisierung, Hilfestellung und Anleitung.
Ich erlebe zunehmend in der Praxis, dass die Krankheitsanfälligkeit Jugendlicher in Ausbildung oder im Studium unter Belastungssituationen steigt.
Ganz klar ist, es geht primär um das Bewusstmachen einer Situation, die zu verändern ist und die ehrliche kritische Haltung der Gesellschaft zu diesem Thema. Das Erlernen von Stresskompetenz ist die Basis für ein Gegensteuern. Ohne Stresskompetenz ist keine Selbstteuerung möglich.

>>Was beinhaltet Selbststeuerung als Gegenstück zur digitalen Dauerberieselung?

HK: Dass wir wissen, wie unsere Biochemie funktioniert, wie wir fragmentiert oder mit klarem Kopf kommunizieren. Für den einen sind es Sport, Dialoggespräche oder Entspannungsrituale, für andere wiederum das „Offlinestellen“ der digitalen Welt um die Balance herzustellen. Die Methode Neuroimagination z.B. kann gezielt die Selbststeuerung trainieren und der einseitige Modus wird aufgelöst. Das setzt jedoch die Bereitschaft zur Bewusstseinsänderung und zum Selbststeuerungstraining voraus – nicht zuletzt, Ehrlichkeit zu sich selbst und im Umgang mit dem Gut Zeit. Wenn sich die Priorität für reale soziale Kontakte weiterhin zu den Digitalmedien verschiebt und wir es mit einer gewaltigen Konkurrenz der Aufmerksamkeitsoptionen zu tun haben, wird es kritisch.

HK: Herr Kraemer, Sie plädieren dafür, dass in Unternehmen neben dem Recruiting und Retention Management das System des Retention Health Management gelebt werden muss. Was versteht man darunter?

HK: Das interne Abläufe von Recruiting, Mitarbeiterbindung, Motivation und Persönlichkeitsentwicklung in direkte Verbindung mit dem Gesundheitsmanagement gebracht werden.

Die Verantwortung für Unternehmenserfolg im ganzheitlichen Sinne darf nicht durch Delegieren oder fehlende Verantwortungsübernahme bzw. Aktionismus oder Präsentismusrituale versanden. Bislang haben sich viele Unternehmen auf Teilbereiche konzentriert. Also hier das BGM Programm, dort die Entwicklung von Führungskräften, hier Effizienzseminare, vereinzelte Kommunikationsregeln und Zeitvorgaben, dort Employer Branding und die Imageförderung der Arbeitgebermarke, die Liste ist sehr lang. Wir haben jedoch in der vernetzten symbiotischen Unternehmenskultur gar keine Chance mehr, Bereiche auszuklammern, die wesentlich für die Unternehmenskultur und damit leistungsfähige gesunde Mitarbeiter sind. Die Auseinandersetzung der Entscheider im Unternehmen mit REHM-Time und die individuelle Konzeption von Retention Health Management ist somit auch eine marktentscheidende Zukunftsinvestition.

Anm.: DEF: REHM: Retention Health Management ist eine relevante Unternehmensinvestition, die sich im wirtschaftlichen Erfolg widerspiegelt. Gesunde, zufriedene und leistungsstarke Mitarbeiter und damit leistungsstarke Unternehmen sind das Resultat des Zusammenspiels von ehrlichem Employer Branding, Top Recruiting, Volition im Leadership, nachhaltigem BGM und konzeptionellen HR-Strategien.

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