Dunkler Stoff für helle Köpfe

Unser Universum besteht zu fast drei Vierteln aus Dunkler Energie. Sie ist dem leeren Raum unsichtbar eingewoben und treibt das Weltall immer schneller auseinander. Diese 1998 von zwei Teams zeitgleich publizierte Entdeckung kam einer Sensation gleich. Was sich hinter der Dunklen Energie verbirgt, weiß bis heute niemand.

Auch Brian Schmidt weiß es nicht. Aber der australische Astronom zählt zusammen mit Saul Perlmutter und Adam Riess zu ihren Entdeckern. Gemeinsam wurden sie dafür 2011 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. „Observations, and the Standard Model of Cosmology“ heißt Schmidts Vortrag, mit dem er am 2. Juli das wissenschaftliche Programm der 62. Lindauer Nobelpreisträgertagung eröffnen wird, an der im Zeichen der Physik in diesem Jahr 27 Nobelpreisträger und mehr als 580 junge Wissenschaftler aus aller Welt teilnehmen.

Die Spur explodierender Sterne

Das Staunen über Beobachtungen, die im Widerspruch zur Hypothese des eigenen Forschungsprojektes stehen, und die Fähigkeit, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, bilden die Basis des Erfolgs von Brian Schmidt. Verfolgte sein High-z Supernova Search Team mit Basis im australischen Weston Creek doch wie das konkurrierende Supernova Cosmology Project von Saul Perlmutter an der Universität von Kalifornien in Berkeley die Absicht, die Entschleunigung der Ausdehnung des Weltalls zu messen. Dessen Abermilliarden Galaxien entfernen sich voneinander, wie Edwin Hubble schon 1929 nachgewiesen hatte. Entweder würde sich diese Ausdehnung mit gleichbleibender Geschwindigkeit unendlich fortsetzen, folgerten daraus die Astronomen, oder die Gravitationskraft müsste eines Tages die Oberhand gewinnen und die Ausdehnung des Alls allmählich in ihr Gegenteil verkehren – so wie ein Ball, den man in die Luft wirft, immer langsamer steigt, um dann zur Erde zurück zu fallen. Seit Anfang der 1990er Jahre wurde es möglich, diese Annahmen empirisch zu prüfen. Das war einerseits den Fortschritten in der Datenverarbeitung und in der digitalen Aufnahme und Bearbeitung von Bildern (Physiknobelpreis 2009) zu verdanken, andererseits der Tatsache, dass es der Astronomie gelungen war, verlässliche Entfernungsindikatoren in den Tiefen des Universums zu finden: Supernovae vom Typ1a.
Wenn ein Stern ausgeglüht und seine Zeit abgelaufen ist, explodiert er in einer Supernova. Für Astronomen besonders interessant ist der Supernova Typ 1a. Er entsteht nur bei Doppelsternsystemen, bei denen ein Partner ein Weißer Zwerg ist und der andere ein Roter Riese, der sich in der Phase der Ausdehnung befindet. Hierbei strömt Masse vom Roten Riesen zum Weißen Zwerg. Erreicht dieser die Massengrenze, die Subrahmanyan Chandrasekhar bereits Ende der 1930er Jahre vorhergesagt hat und wofür er 1983 den Nobelpreis erhielt, explodiert er als Supernova Typ 1a. Die Helligkeit ist physikalisch deshalb stets gleich, wodurch sich aus der beobachteten scheinbaren Helligkeit die Entfernung ableiten lässt. Eine Supernova findet in jeder Galaxie etwa einmal in 500 Jahren statt. Das riesige Weltall jedoch verzeichnet in jeder Minute etwa zehn Supernovae vom Typ 1a. Sie in einer Entfernung von mehr als fünf Milliarden Lichtjahren aufzuspüren, um ihr Alter und ihre Entfernung abzuschätzen, ihre Signale aus der Fülle der digitalen Daten zu subtrahieren, um ihre Leuchtkraft aufzuzeichnen, das war eine Meisterleistung der Laureaten von 2011. Die andere war, sich von den eigenen Resultaten nicht beirren zu lassen: „Adam, was haben Sie falsch gemacht?“, fragte Schmidt seinen Kollegen Adam Riess, als der ihm ein Diagramm seiner ersten Messungen vorlegte.

Stärker als die Schwerkraft

Den Daten zufolge leuchteten fünf Supernovae während der Beobachtungszeit nicht nur immer schwächer, sondern verloren auch mehr Leuchtkraft als erwartet. Eingebettet in ihre Galaxien, entfernten sie sich offenbar mit wachsender Geschwindigkeit von ihrem Betrachter – das Weltall beschleunigte seine Ausdehnung. Weitere Beobachtungen bestätigten diesen überraschenden Befund, den parallel auch das Team von Saul Perlmutter erhoben hatte. Auf der Analyse von insgesamt 50 Typ-1a-Supernovae gründeten beide Forschergruppen ihre übereinstimmenden Ergebnisse. Der Fachwelt, die wusste, dass beide Teams seit Jahren miteinander im Wettstreit standen und sich liebend gerne wechselseitig widerlegt hätten, war das ein Beleg für die Glaubwürdigkeit der verblüffenden Erkenntnis: Das Weltall nimmt Fahrt auf, weil es mit der dunklen Energie eine Kraft gibt, die der Gravitation entgegenwirkt.

Als Quelle der dunklen Energie wird von den meisten Physikern das Vakuum angesehen. Denn dort wandeln sich – wie die Gesetze der Quantenphysik nahelegen – in einem dauernden Wechselspiel Materie und Energie fast unendlich schnell ineinander um. Die Energie, die das Vakuum durch diese Fluktuationen rechnerisch enthalten kann, ist aber um den unvorstellbar hohen Faktor von 10 hoch 122 kleiner als die Dunkle Energie. Wo liegen die Lücken zwischen Theorie und Beobachtung? Entspricht die Dunkle Energie – allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen – der kosmologischen Konstante, die Einstein einst in seine Gleichungen einführte, um seinen Glauben an einen statischen Kosmos nicht aufgeben zu müssen? Oder ist sie gar nicht konstant, sondern entstammt vorübergehenden Kraftfeldern? Wenn, wie manche Theoretiker meinen, das frühe Universum eine plötzliche Aufblähung erfuhr, bei der es zu einer enormen temporären Erhöhung der Energiedichte kam – könnte dann etwas ähnliches derzeit auch stattfinden und dies die Dunkle Energie erklären? Diese Fragen kreisen um das derzeit größte Rätsel der Physik. Der schmale Grat zwischen Spekulation und Wissenschaft, den sie eröffnen, macht sie für den Dialog zwischen Nachwuchswissenschaftlern und Nobelpreisträgern so spannend.

Der strahlende Anfang der Welt

Je weiter die Astronomen in das Weltall schauen, desto tiefer blicken sie auch in dessen Vergangenheit zurück. Die Explosionen, deren Licht Brian Schmidt und seine Co-Laureaten aufzeichneten und untersuchten, ereigneten sich vor vielen Milliarden Jahren. Mit auf der Erde stationierten Teleskopen können die Astronomen auf der Zeitachse zwischen unserer Gegenwart und dem Urknall bisher etwas mehr als 60 Prozent zurücklegen. Damit reichen sie nicht an die Geburt des Universums vor 13,7 Milliarden Jahren heran. Dazu bedarf es einer Technik, die in der Lage ist, außerhalb der absorbierenden Erdatmosphäre die ersten Strahlen aufzufangen, die von der Entstehung der Welt künden. Diese technischen Voraussetzungen wurden von der amerikanischen Weltraumbehörde NASA mit dem Cosmic Background Explorer (COBE)-Satelliten unter der Leitung von John Mather und George Smoot verwirklicht. Schon neun Minuten, nachdem der Satellit im November 1989 ins All geschossen worden war, schickte er seine ersten Bilder zur Erde. Sie waren eine genaue Bestätigung der Ausgangshypothese der COBE-Mission: Wenn das Universum in einem Urknall aus einem unendlich dichten und heißen Punkt entstanden ist, dann enthielt es im Anfang eine perfekte Strahlung, deren Wellenlänge nur von der Temperatur abhängt, aus einer tosenden See von Energie, die sich allmählich zum Teil in Materie verwandelte. Ein Rest dieser Strahlung aber bleibt, dramatisch abgekühlt, bis heute übrig und kündet als kosmisches Rauschen wie eine Muschel vom Meer vom Anfang der Welt. Wenn diese Annahme richtig ist, dann darf dieses kosmische Hintergrundrauschen aber nicht völlig gleichmäßig (isotrop) sein, sondern muss winzige, richtungsabhängige Temperaturdifferenzen aufweisen, damit die Entstehung von Materiehaufen, also von Galaxien, aus dem Energiefeld erklärt werden kann. Tatsächlich bewies die Analyse der COBE-Daten, dass sich winzige Variationen der Hintergrundstrahlung messen lassen, die zeigen, wo sich am Anfang der Zeit Materiehaufen zu bilden begannen. Die Ergebnisse der COBE-Mission gelten als Beweise des Urknall-Modells und brachten John Mather und George Smoot 2006 den Physiknobelpreis ein.

John Mather wird in Lindau in seinem Vortrag „Seeing farther with new telescopes“ einen Überblick über aktuelle Entwicklungen weltraumbasierter und erdgestützter Teleskope geben. George Smoot wird unter dem Titel „Mapping the Universe in Space and Time“ die Daten in den Blick nehmen, die solche Teleskope liefern und darüber sprechen, welche Erkenntnisse daraus in naher Zukunft zu erwarten sind. Dass beide am 2. Juli direkt im Anschluss an Brian Schmidt sprechen, ist auch ein Zeichen ihrer wissenschaftlichen Verbindung: Es waren Präzisionsmessungen der kosmischen Hintergrundstrahlung, die während des vergangenen Jahrzehnts die Entdeckung bestätigten, dass unser Universum sich immer schneller ausdehnt.

Weiterführende Informationen
Das Programm der 62. Lindauer Nobelpreisträgertagung, Hintergrundinformationen zu den teilnehmenden Laureaten und Abstracts/Zusammenfassungen Ihrer Vorträge sind verfügbar in der Lindauer Mediathek: http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/#/Meeting?id=284. Sie umfasst außerdem Tonmitschnitte und Videos der Vorträge von Nobelpreisträgern aus der über 60jährigen Geschichte der Lindauer Tagungen. Mit ergänzenden Hintergrundinformationen, Fotos, Verlinkungen thematisch verwandter Inhalte und didaktisch aufbereiteten „Mini-Lectures“ ist die Lindauer Mediathek für Forscher, Wissenschaftsinteressierte, Journalisten und Pädagogen gleichermaßen interessant.

„Topic Cluster“ aus sämtlichen Mediathek-Inhalten zum Thema Kosmologie: http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/#/TopicCluster?id=3

Profil der Nobelpreisträger mit Hintergrundinformationen in der Lindauer Mediathek:
– Brian Schmidt (2011):
http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/#/Laureate?id=18261
– George Smoot (2006):
http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/#/Laureate?id=6951
– John Mather (2006):
http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/#/Laureate?id=6884

Offizielle Preisbegründungen zu den oben genannten Laureaten:
– Brian Schmidt erhielt 2011 gemeinsam mit Saul Perlmutter und Adam Riess den Nobelpreis für Physik. Gewürdigt wurde ihre Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums durch die Beobachtung ferner Supernovae.

– John Mather und George Smoot wurde 2006 gemeinsam der Nobelpreis für Physik verliehen für ihre Entdeckung der Saat der Galaxien in der kosmischen Hintergrundstrahlung, dem „Echo des Urknalls“.

Die Lindauer Nobelpreisträgertagungen
An der 62. Lindauer Nobelpreisträgertagung (Physik) vom 1. bis 6. Juli 2012 nehmen 27 Nobelpreisträger und über 580 Nachwuchswissenschaftler aus 69 Ländern teil. Zu den Themen gehören die Kosmologie, die Teilchenphysik sowie die Herausforderung einer nachhaltigen Energieversorgung und die Klimafrage. Die Nobelpreisträgertagungen finden seit 1951 jährlich in Lindau statt. Sie werden vom 1954 gegründeten Kuratorium für die Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau e.V. und der im Jahr 2000 gegründeten Stiftung Lindauer Nobelpreisträgertreffen am Bodensee ausgerichtet. Der Stifterversammlung der Stiftung gehören mehr als 250 Nobelpreisträger an.
Verfolgen Sie die Lindauer Tagungen online!
Blog: http://lindau.nature.com/
Twitter: http://twitter.com/#!/lindaunobel/
Facebook: http://www.facebook.com/LindauNobelLaureatesMeeting/

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Jan Keese idw

Weitere Informationen:

http://www.lindau-nobel.org/

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