Das Geheimnis des Untergrunds

Zellen orientieren sich beim Wachsen am Untergrund: Die Säulenstruktur der Silikon-Oberfläche beeinflusst hier die Morphologie humaner Bindegewebszellen, der Fibroblasten. © Fraunhofer

Mit bloßem Auge sind die winzigen Wellen, Noppen und Vertiefungen nicht zu sehen. Doch lebende Zellen reagieren auf die feinen Strukturen und verbinden sich mit ihnen. Implantate, deren Oberflächen strukturiert wurden, können schneller einwachsen als glatte. In der Medizintechnik gibt es für die neuen Mikrostrukturen vielerlei Anwendungen. Einige sind vom 9. bis 11. März auf der MEDTEC, am Gemeinschaftsstand der Fraunhofer-Gesellschaft Halle 4.0, Stand 417 zu sehen.

„Die Mikrostrukturierung ist ein Boom-Thema“, sagt Dr. Georg Veltl vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen. „Der Trend geht in allen Branchen in Richtung Miniaturisierung. Auch die Medizintechnik ist da keine Ausnahme.“ Beispiel Mikroanalytik: Untersuchungen, für die man früher einen ganzen Labortisch brauchte, können heute in schuhkarton-großen Minilabs durchgeführt werden. Die Methode spart nicht nur Platz, sondern auch Geld, da die Menge der benötigten Reagenzien drastisch reduziert werden kann. Um den Fluss der chemischen Lösungen auf kleinstem Raum exakt steuern zu können, müssen die Mikrotiterplatten mit mikroskopischen Kanälen ausgestattet werden. „Dank Mikrostrukturierungstechnik können wir solche Kanäle mit hoher Präzision herstellen“, erklärt Veltl.

Gefragt sind die winzigen Rillen, Dellen und Noppen, mit denen sich Oberflächen im mikroskopischen Maßstab gestalten lassen, auch beim Tissue-Engineering, der Herstellung von Gewebe im Labor: Die Mikrostrukturierung gibt eine Wachstumsrichtung vor und steigert die Belastbarkeit: „Unterschiedliche Strukturen beeinflussen das Gewebe auf ganz charakteristische Weise. Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Bremer Biotechnologie-Unternehmen alcedo biotech Zellaufwachsversuche durchgeführt, um herauszufinden, welche Oberflächenstruktur sich für welches Einsatzgebiet besonders gut eignet“, berichtet der Werkstoff-Ingenieur Veltl. Auf manchen Strukturen haften zum Beispiel Knochenzellen besonders gut. Diese Oberflächen sind ideal für Implantate, die schnell einwachsen sollen. In anderen Fällen wollen die Medizintechniker das Aufwachsen von Zellen verhindern. Intraokularlinsen zum Beispiel, die implantiert werden, wenn Patienten an Grauem Star leiden, sollen nicht von Bindegewebe überwuchert und dadurch getrübt werden.

Besonders kniffelig ist die Mikrostrukturierung von harten, metallischen Werkstücken. Gleichzeitig sind gerade diese in der Medizintechnik gefragt, weil sie belastbarer sind als Kunststoffteile und dazu unempfindlich gegenüber Chemikalien. Am Bremer Fraunhofer-Institut können jetzt metallische Objekte mit mikrostrukturierten Oberflächen gefertigt werden – Pulvermetallurgie macht’s möglich.

Im ersten Schritt wird eine Form erstellt, deren Oberfläche bereits die gewünschte Struktur – genauer gesagt: deren Negativform – zeigt. In diese Form spritzen die Forscher eine Mischung aus feinstem Metallpulver und Kunststoff. Nach dem Aushärten wird das Bauteil herausgenommen, der Kunststoff wieder beseitigt und das Metall gesintert. „Das Verfahren ist äußerst vielseitig und seit Jahren bewährt“, berichtet Dr. Astrid Rota, Leiterin der Abteilung Mikrofertigung am IFAM. „Die eigentliche Herausforderung lag darin, die Methode, die bisher zur Herstellung von makroskopischen Bauteilen eingesetzt wurde, anzupassen an die mikroskopische Produktion. Wir haben das jetzt geschafft.“

Die Pulvermetallurgie eignet sich nicht nur für die Mikrostrukturierung metallischer Oberflächen, sondern auch für die Herstellung von Mikrobauteilen aus Metall – beispielsweise kleinen Hydraulik- oder Infusionspumpen. „Die metallischen Komponenten sind zwar etwas teurer als solche aus Kunststoff, der Herstellungspreis wird jedoch mit größerer Stückzahl geringer“, so Veltl. „Dafür sind Lebensdauer und die Belastbarkeit wesentlich höher – gerade in der Medizintechnik ist das ein wichtiger Punkt.“

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Dr. Johannes Ehrlenspiel Fraunhofer-Gesellschaft

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