Welche Rolle spielt Kalzium bei Multipler Sklerose?

Entzündungsherde bei Multipler Sklerose (so genannte MS-Läsionen): Die rot eingefärbten Nervenzellen sind von den blau eingefärbten Entzündungszellen umgeben. Dr. Richard Fairless, Neurologische Universitätsklinik Heidelberg

Bei Multipler Sklerose (MS) greift das Immunsystem körpereigenes Nervengewebe an, Nervenzellen sterben ab. Könnte ein gestörter Kalzium-Haushalt der beteiligten Zellen Ursache und Antrieb der chronischen Erkrankung sein?

Dieser zentralen Frage geht ab sofort eine neue Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter Federführung von Professor Dr. Ricarda Diem, Neurologische Universitätsklinik Heidelberg nach. Beteiligt sind Wissenschaftlerteams aus Heidelberg, Homburg, Hamburg-Eppendorf und Münster. In gemeinsamen interdisziplinären Projekten werden sie untersuchen, was das Kalzium-Gleichgewicht durcheinanderbringt, wie sich dadurch die Interaktion von Immun- und Nervenzellen verändert und welche Bedeutung das für den Verlauf der MS hat.

Weiteres Ziel ist es, Ansatzpunkte für neue Therapien zu identifizieren, die regulierend in den Kalzium-Haushalt von Immun- oder Nervenzellen eingreifen können. Die DFG fördert die Forschergruppe „Kalzium-Homöostase bei Neuroinflammation und -degeneration“ zunächst drei Jahre lang mit insgesamt 2,7 Millionen Euro.

Deutschlandweit leiden rund 120.000 Menschen an MS, die häufig bereits in jungen Jahren Nervenschäden und Behinderungen verursacht. Meist ist eine Entzündung des Sehnervs mit Schädigung der Netzhaut im Auge das erste Anzeichen einer MS, wiederholte Schübe können schließlich zur Erblindung führen. Medikamente, die das Immunsystem hemmen und die Entzündungsprozesse mildern, dämpfen zwar die Krankheitsschübe, können aber weder die Erkrankung selbst, noch bereits entstandene Nervenschäden heilen. Es gibt bisher keine zugelassenen Wirkstoffe, die Nervenzellen schützen und ihr Absterben verhindern.

Kalzium-Überschuss macht Immunzellen aggressiv und Nervenzellen krank

Bisher ist noch nicht geklärt, welcher der beiden Hauptmechanismen bei MS die treibende Kraft bei Entstehung und Verlauf der Erkrankung ist: Steht am Beginn eine Überreaktion des Immunsystems auf körpereigenes Nervengewebe, was zum Absterben der Nervenzellen führt, oder aktiviert umgekehrt der Tod von Nervenzellen erst das Immunsystem? Aktuelle Forschungsergebnisse liefern Indizien für ein möglicherweise beiden Mechanismen zugrunde liegendes Ausgangsproblem: ein Überschuss an dem Universal-Botenstoff Kalzium. Er lässt Nervenzellen absterben und macht Immunzellen aggressiv gegenüber körpereigenem Gewebe. „Wenn wir diesen Störungen auf den Grund gehen, finden wir möglicherweise den Ursprung der Erkrankung“, so Professor Ricarda Diem, Oberärztin an der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg.

In neun eng miteinander vernetzten Einzelprojekten widmen sich die Neurologen, Pharmakologen und Neurobiologen der Forschergruppe den verschiedenen Zelltypen, die bei MS eine Rolle spielen, darunter Immun-, Blutgefäß- und Nervenzellen. Sie untersuchen Kalzium-abhängige Signalwege innerhalb und zwischen den Zellen, fahnden nach möglichen Defekten bei Kalzium-Transportproteinen, prüfen, wie das Ungleichgewicht an Kalzium zustande kommt und wie die einzelnen Zellen darauf reagieren. Zudem gehen sie der Frage nach, ob Kalzium die Blut-Hirn-Schranke, die normalerweise Immunzellen den Zutritt zum Gehirn verwehrt, durchlässig macht. Bei MS passieren bestimmte Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke, dringen ins Nervengewebe vor und lösen dort die Entzündungen aus.

Neuer Ansatz in der Erforschung der Multiplen Sklerose

Kalzium ist im Körper in alle Zellfunktionen, Signalwege und Netzwerkprozesse eingebunden. Jede Zelle verfügt daher über ein höchst komplexes Regulationssystem für diesen Universal-Botenstoff. „Die Frage ist, was dieses System bei MS entgleisen lässt? Warum bringen Störungen an einzelnen Stellen das ganze System aus dem Gleichgewicht, obwohl den Zellen viele weitere Regulationsmechanismen zur Verfügung stehen?“, so die Neurologin. „Störungen in der Kalzium-Regulation sind bis jetzt in der Erforschung der MS wenig beachtet worden. Wir gehen davon aus, ein neues Forschungsfeld auf dem Gebiet der Neurologie zu erschließen.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Ricarda Diem
Neurologische Universitätsklinik Heidelberg
Tel.: 06221 56-37774
E-Mail: ricarda.diem@med.uni-heidelberg.de

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 12.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit ca. 1.900 Betten werden jährlich rund 66.000 Patienten voll- bzw. teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca. 3.500 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg. www.klinikum.uni-heidelberg.de

http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/AG-Neuroinflammation.138086.0.html Arbeitsgruppe Neuroinflammation, Universitätsklinikum Heidelberg
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Willkommen.628.0.html Neurologische Universitätsklinik Heidelberg

Media Contact

Julia Bird idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Förderungen Preise

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Anlagenkonzepte für die Fertigung von Bipolarplatten, MEAs und Drucktanks

Grüner Wasserstoff zählt zu den Energieträgern der Zukunft. Um ihn in großen Mengen zu erzeugen, zu speichern und wieder in elektrische Energie zu wandeln, bedarf es effizienter und skalierbarer Fertigungsprozesse…

Ausfallsichere Dehnungssensoren ohne Stromverbrauch

Um die Sicherheit von Brücken, Kränen, Pipelines, Windrädern und vielem mehr zu überwachen, werden Dehnungssensoren benötigt. Eine grundlegend neue Technologie dafür haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bochum und Paderborn entwickelt….

Dauerlastfähige Wechselrichter

… ermöglichen deutliche Leistungssteigerung elektrischer Antriebe. Überhitzende Komponenten limitieren die Leistungsfähigkeit von Antriebssträngen bei Elektrofahrzeugen erheblich. Wechselrichtern fällt dabei eine große thermische Last zu, weshalb sie unter hohem Energieaufwand aktiv…

Partner & Förderer