DFG richtet sieben neue Forschergruppen ein
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet sieben neue Forschergruppen ein. Dies beschloss der Hauptausschuss von Deutschlands zentraler Forschungsförderorganisation auf seiner Dezember-Sitzung in Bonn. Die Forschungsverbünde sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit bieten, sich aktuellen und drängenden Fragen in ihren Fächern zu widmen und innovative Arbeitsrichtungen zu etablieren. Wie alle DFG-Forschergruppen werden die neuen Einrichtungen orts- und fächerübergreifend arbeiten.
Das thematische Spektrum der Einrichtungen ist breit gefächert: Eine der neuen Forschergruppen will beispielsweise neue Therapien bei Alkoholabhängigkeit erarbeiten, eine der ingenieurwissenschaftlichen Gruppen entwickelt innovative Konzepte für individualisierte Hörakustik. Die beiden geistes- und sozialwissenschaftlichen Gruppen beschäftigen sich hingegen mit der Relevanz hypothetischer Aussagen für wissenschaftliche Erkenntnisprozesse und europäischen Vergesellschaftungsprozessen.
In den nächsten drei Jahren werden die sieben neuen Forschergruppen circa 14,2 Millionen Euro erhalten; damit fördert die DFG insgesamt 199 Forschergruppen.
Die neuen Gruppen im Einzelnen (alphabetisch nach Sprecherhochschule):
Alkoholbezogene Störungen sind in der Regel durch Fehlverhalten charakterisiert: Die Betroffenen unterliegen ihrer Sucht trotz negativer Konsequenzen und empfinden andere Stimuli als nur wenig belohnend. In der Forschergruppe 1617 „Lern- und Gewöhnungsprozesse als Prädiktoren für die Entwicklung und Aufrechterhaltung alkoholbezogener Störungen” soll daher die Frage beantwortet werden, welche Rolle belohnungsassoziierte Lernmechanismen in der Entwicklung und Aufrechterhaltung alkoholbezogener Störungen spielen. Hierzu werden repräsentative Risikogruppen und an Alkoholabhängigkeit erkrankte Patienten in einer umfassenden Studie untersucht. In Pilotexperimenten erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Lernmechanismen zur Prävention und Behandlung von Alkoholabhängigkeit beitragen können. (Sprecher: Prof. Dr. Andreas Heinz, Charité Berlin)
Die Forschergruppe 1509 „Ferroische Funktionsmaterialien – Mehrskalige Modellierung und experimentelle Charakterisierung“ hat sich zum Ziel gesetzt, eine neue Qualität in der Simulation der unterschiedlichen Feldgrößen in Materialien mit magnetischen und elektrischen Eigenschaften zu erreichen. Dafür wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise die Evolution von Mikrostrukturen auf verschiedenen Skalen modellieren und das magneto-elektromechanische Materialverhalten untersuchen. Die Ergebnisse bieten eine umfassende Grundlage für den simulationsbasierten Entwurf von neuen Materialien und Hightech-Bauteilen mit multifunktionellen Eigenschaften. Diese Ziele sollen durch die Bündelung von Kompetenzen aus dem Bereich der Thermodynamik, der computerorientierten Mechanik und der Materialwissenschaft erreicht werden. (Sprecher: Prof. Dr.-Ing. Jörg Schröder, Universität Duisburg-Essen)
Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf agrarisch genutzte Landschaften? Diese Frage steht im Mittelpunkt der neuen Forschergruppe 1695 „Agrarwirtschaftliche Landschaften im Klimawandel – Prozesse und Resonanz auf einer regionalen Skala“. Ziel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist, in zwei Beispielregionen im Südwesten Deutschlands, dem Kraichgau und der Schwäbischen Alb, die Entwicklung von Agrarlandschaften unter klimatischen Veränderungen besser abschätzen zu können. Dazu soll ein Landsystemmodell entwickelt werden, das verschiedene Modelle aus Atmosphärenforschung, Pflanzenbau und Ökonomie von der Betriebsebene bis zur regionalen Ebene integriert. (Sprecher: Prof. Dr. Thilo Streck, Universität Hohenheim)
Mit „Häm und Häm-Abbauprodukten“ beschäftigt sich die neue Forschergruppe 1738. Häm ist eine gut charakterisierte katalytische Komponente zahlreicher Proteine und besonders bekannt als eisenhaltiger Farbstoff in den roten Blutkörperchen. Häm-Abbauprodukte, wie zum Beispiel Bilirubin und Kohlenmonoxid, wurden bislang in erster Linie als Abfallprodukte und Toxine betrachtet, die der Körper eliminieren muss. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass Häm und Häm-Abbauprodukte auch als zelluläre Signalmoleküle fungieren, die eine Vielzahl von Körperfunktionen beeinflussen. Diese alternativen Funktionen und Signalmechanismen wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem sehr interdisziplinären Verbund aus den Bereichen Neurologie, Intensivmedizin, molekularer Physiologie, Biophysik, Biochemie, Biophotonik sowie synthetischer und analytischer Chemie untersuchen. (Sprecher: Prof. Dr. Stefan H. Heinemann, Universität Jena)
„Was wäre wenn? Zur Bedeutung, Epistemologie und wissenschaftlichen Relevanz von kontrafaktischen Aussagen und Gedankenexperimenten“ lautet der Titel der neuen Forschergruppe 1614. Ziel ist, Auswege aus dem Dilemma zwischen Unverzichtbarkeit von Aussagen über kontrafaktische, also der Wahrheit widersprechende, Situationen einerseits und ihre Fragwürdigkeit andererseits zu finden. Die leitende Frage soll dabei sein, wie sinnvoll das Nachdenken und Sprechen über hypothetische Szenarien für wissenschaftliche Erkenntnisprozesse ist. Um diese Frage zu beantworten, sind unter anderem Grundlagenuntersuchungen zu logischen Aspekten kontrafaktischer Konditionale und zur Methode von Gedankenexperimenten erforderlich. Der interdisziplinäre Forschungsansatz des Projektes soll dazu beitragen, durch die Zusammenführung unterschiedlicher und bislang getrennt voneinander geführter Forschungsdebatten neue Perspektiven auf das Thema Kontrafaktizität zu eröffnen. (Sprecher: Prof. Dr. Wolfgang Spohn, Universität Konstanz)
Die Öffnung bislang weitgehend nationalstaatlich regulierter und begrenzter sozialer Felder steht im Zentrum der Forschergruppe 1539 „Europäische Vergesellschaftungsprozesse. Horizontale Europäisierung zwischen nationalstaatlicher und globaler Vergesellschaftung“. Die europäische Integration führt insbesondere seit den 1990er-Jahren zu einer grundlegenden Transformation der sozialen Beziehungen und der Lebenssituation der Menschen. Daher will die Forschergruppe die soziologische Europaforschung theoretisch weiterentwickeln, indem sie ein Konzept feldspezifischer, konfliktträchtiger „horizontaler“ Europäisierungsprozesse erarbeitet und in ausgewählten Beispielen empirisch unterfüttert. Am Beispiel akademischer, bürokratischer und identitätsbezogener Felder soll ein besseres Verständnis ausgewählter Europäisierungsprozesse, der damit verbundenen Konflikte, ihrer sozialstruk¬turellen Voraussetzungen und ihrer Auswirkungen auf die Muster sozialer Ungleichheit erarbeitet werden. (Sprecher: Prof. Dr. Martin Heidenreich, Universität Oldenburg)
Wie kann man die korrekte Wahrnehmung eines akustischen Signals beim individuellen Menschen und in einer akustisch schwierigen Situation sicherstellen? So lautet die zentrale Fragestellung der Forschergruppe 1732 „Individualisierte Hörakustik“. Kommunikation ist die Grundlage unserer Kultur. Insbesondere Störschall im Alltag beeinträchtigt die akustische Informationsübertragung aber zunehmend, nicht nur für den älteren Teil der Gesellschaft oder die 18 Prozent der Bevölkerung mit Hörschäden. Die verfügbaren technischen Lösungen zur individuellen Unterstützung der Hörwahrnehmung sind in ihrer Zielgruppe und Funktionalität bislang noch stark limitiert. Die Techniken sind weder optimal an die Nutzer noch an die jeweilige Umgebungssituation angepasst. Aus akustischer Sicht lässt sich dies auf bisher ungelöste Störquellen- und Anpassungsprobleme zurückführen. Ziel der Forschergruppe ist daher die Erforschung von Hörmodellen und Algorithmen bis hin zur prototypischen Entwicklung und Evaluation von individualisierten Hörsystemen. Diese sollen die akustische Wahrnehmung in möglichst vielen Situationen für möglichst viele unterschiedliche Benutzer verbessern oder erst ermöglichen. (Sprecher: Prof. Dr. Birger Kollmeier, Universität Oldenburg)
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