Tschernobyl und die DDR

Am 19. April 2002 fand in Magdeburg ein Forum zum Thema ’Tschernobyl und die DDR’ statt, das gemeinsam von der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), der Friedrich Ebert-Stiftung, Landesbüro Sachsen-Anhalt und den Greenkids veranstaltet wurde. Eine Tagungsdokumentation befindet sich in Vorbereitung.

Vor genau 16 Jahren, am 26.4.1986, explodierte einer der Atomreaktoren von Tschernobyl. In Westdeutschland und Westberlin mit ihren aktiven Anti-Atomkraft-Bewegungen löste die auch hier verspätet eingetroffene Katastrophenmeldung einen heftigen öffentlichen Diskurs aus, der tiefgreifende politische Veränderungen bewirkte.
In der DDR dagegen berichteten die Zeitungen über die Katastrophe zunächst überhaupt nicht. Sichtbarste Auswirkung war die ungewöhnlich gute Versorgungslage der DDR-Stadtbevölkerung mit frischen Produkten wie Kopfsalat, der auf Grund der Kontamination nicht mehr in das westliche Ausland verkauft werden konnte.
Für die Umweltgruppen und die Friedensbewegung der DDR wurde Tschernobyl ein wichtiges Aufbruchssignal, ohne dass es zunächst zu spektakulären Aktionen kommen konnte. Die tatsächlichen Auswirkungen der Katastrophe auf Mensch und Umwelt in Ostdeutschland blieben auch nach der Wende weitgehend im Dunkeln.
Der ehemalige Bezirk Magdeburg, der heute den nördlichen Teil des Landes Sachsen-Anhalt bildet, war besonders betroffen. Vergleichbar den Bodenkontaminationen im Süden Bayerns, kam es auch hier im Zeitraum Anfang Mai 1986 zu lokalen Niederschlagsereignissen, in deren Folge das Bezirkshygieneinstitut Magdeburg hohe Strahlenwerte gemessen hat. Deren Folgen sind bis heute z. B. durch die Cäsium 137-Gehalte in Maronenröhrlingen messbar, weil noch fast 75% der 1986 deponierten Cäsium 137-Aktivität vorliegen (vgl. http://www.brandenburg.de/land/mlur/s/pilze.htm ).

Einleitend benannte Prof. Dr. Thomas Hartmann von der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) fünf Gründe, warum auch 16 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – abgesehen von dem Problem der Strahlenbelastung – noch dringender Handlungs- und Aufklärungsbedarf besteht:

  1. Es sind immer noch 13 Reaktoren des Tschernobyl-Typs in Betrieb
  2. Wir kennen bis heute nicht die tatsächlichen Zahlen der Opfer der Katastrophe
  3. Die Strahlenopfer, ihre Angehörigen und die aus den verseuchten Gebieten Vertriebenen sind bis heute nicht angemessen unterstützt bzw. entschädigt worden
  4. Die Menge der Spaltstoffe, die tatsächlich in die Atmosphäre gelangten und die Menge der Spaltstoffe, die im sogenannten Sarkophag verblieben sind, ist vollkommen ungeklärt
  5. Die aus der Erfahrung mit Tschernobyl abzuleitenden Vorkehrungen für den Schutz der Bevölkerung sind in Deutschland weder folgerichtig getroffen noch ausreichend umgesetzt worden.

Im Laufe des Forums setzten sich die Referenten mit verschiedenen Aspekten zu Tschernobyl und DDR auseinander. Dazu gehörten Dr. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V. und früherer Umweltminister der DDR in der Regierung de Maiziere, („Tschernobyl und die DDR – zwischen staatlicher Leugnung und Bürgerbewegung“), Dr. Bernd Thriene, Direktor des Hygiene-Instituts Sachsen-Anhalt, schildert den („Ablauf und Folgen von Tschernobyl im Bezirk Magdeburg“) und Prof. Dr. Volker Steinbicker vom Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg, (Untersuchungen zu ’Fehlbildungen bei Säuglingen im Raum Magdeburg’).

Die Beiträge der Tagung werden in einer Dokumentation zusammengefasst.
Kontak:
Prof. Dr. Thomas Hartmann
Hochschule Magdeburg-Stendal (FH)
FB Sozial- und Gesundheitswesen
Breitscheidstr. 2
D-39114 Magdeburg
Tel.: +49 391-886 44 56
mailto: thomas.hartmann@sgw.hs-magdeburg.de

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