Zukunftstagung: „Maßgeschneiderte Medizin setzt gebildete Patienten voraus“

Rund 150 Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten diese komplexen Fragestellungen auf der Zukunftstagung „Medizin der Zukunft: maßgeschneidert – Ist die Gesellschaft bereit?“ am Wochenende in Berlin.

Fazit: Das Solidarsystem im Gesundheitswesen muss erhalten bleiben, die Patienten müssen am medizinischen Fortschritt teilhaben und Wahlfreiheit haben. Das setzt voraus, dass der Einzelne entsprechend gebildet ist.

Die Diskussion bildete den Abschluss eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Diskursprojekts zur „personalisierten Medizin“ unter Federführung des Forschungszentrums Jülich, Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft. Kooperationspartner waren das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung Karlsruhe.

„Personalisierte Medizin“ bedeutet eine auf den einzelnen Patienten maßgeschneiderte, individuelle Früherkennung zur Vorbeugung von Krankheiten, sowie Diagnose und Therapie von Erkrankungen.

Nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten Michael Kretschmer (CDU) erfordert die „personalisierte Medizin“ mehr Eigenverantwortlichkeit des Patienten in seinem Verhalten. Er sprach zugleich von einer Vorsorgepflicht. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Burchardt (SPD) sieht einen Zusammenhang zwischen Bildungsarmut und Vernachlässigung der Gesundheit. Bildung sei deshalb der Schlüssel zur Nutzung der Chancen der „personalisierten Medizin“. Marlies Volkmer, SPD-Bundestags-abgeordnete, betonte, der Patient könne sich nur frei für eine Untersuchung oder Therapie entscheiden, wenn er Zugang zu unabhängiger Information habe.

Dr. Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG, sagte, in den USA stürben jährlich 200 000 Menschen an den Nebenwirkungen durch den „Fehleinsatz“ von Medikamenten. Außerdem habe sich gezeigt, dass „20 bis 60 Prozent der Arzneimittel“ bei den Patienten nicht wirkten. Die „Treffsicherheit“ zu erhöhen und die Therapie zu verbessern sei das Ziel der Pharmaindustrie und Roche Pharma habe deshalb die „personalisierte Medizin“ zu ihrem „Geschäftsmodell“ gemacht. Vor diesem Hintergrund erklärte Dr. Axel Meeßen vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, es sei wichtig, nicht nur die Wirkung von Arzneimitteln zu prüfen, sondern auch ihren Nutzen für den Patienten.

Prof. Dieter Sturma, Direktor des Instituts für Wissenschaft und Ethik, Bonn, kritisierte, dass der Mensch bei der „personalisierten Medizin“ gleich als „Patient“ gesehen werde. „Was hat es für einen Sinn, das Leben vom Ende her zu entwickeln?“, fragte er. Bemängelt wurde von einem Teilnehmer auch, dass für das Problem des Datenschutzes noch keine ausreichenden Lösungen vorhanden seien, obwohl bei der „personalisierten Medizin“ sehr viele persönliche Daten anfielen.

Im Vorfeld der Tagung hatten 22 Mitglieder des Europäischen Jugendparlaments in mehreren von Wissenschaftlern begleiteten Workshops Perspektiven einer „personalisierten Medizin“ und Rahmenbedingungen für ihre Umsetzung erarbeitet.

Am Beispiel von Demenzerkrankungen diskutierten sie die Chancen und Risiken einer „personalisierten Medizin“. Dabei setzten sie sich auch mit den damit verbundenen ethischen, rechtlichen, sozialen und ökonomischen Fragen auseinander und erarbeiteten an Hand vier verschiedener Zukunftsszenarien Thesen und Handlungsempfehlungen für Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, die sie vor der Podiumsdiskussion vorstellten. Diese Thesen lieferten, so Diplompsychologin Cornelia Karger, die Projektleiterin vom Forschungszentrum Jülich, wertvolle Impulse für die anschließende Diskussion. Nach Auffassung der „Jungparlamentarier“ bietet die „personalisierte Medizin“ Chancen für die Patienten. Es bestehe aber die Gefahr, dass sie für Manipulationen anfällig sein könnten. Weiter befürchten sie, dass es vom Bildungsgrad abhängen könne, wer von der „personalisierten Medizin“ profitiere.

Zu Beginn der Zukunftstagung hatte der Parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Thomas Rachel, betont: „Öffentliches Vertrauen kann nur durch den offenen Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft erreicht werden“. Die „Kernfrage“ der „personalisierten Medizin“ – „Ist die Gesellschaft bereit?“, richte sich auch an den Staat. Das Bundesforschungs-ministerium sehe vor, die Mittel für den mit diesen Fragen befassten Forschungsschwerpunkt „Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der Lebenswissenschaften“ von 4,5 Millionen Euro auf 6 Millionen Euro zu erhöhen. Auf die Dimension der Herausforderungen von Demenzerkrankungen für die Gesellschaft wies Dr. Sebastian Schmidt, Vorstandsmitglied des Forschungszentrums Jülich, hin. In Deutschland gäbe es derzeit rund eine Million Menschen, die an Alzheimer erkrankt seien. Es sei zu befürchten, dass sich diese Zahl in den kommenden Jahrzehnten auf Grund der demographischen Entwicklung verdopple. Das Forschungszentrum Jülich stelle sich den damit verbundenen Herausforderungen nicht nur durch seine medizinische Forschung mit bildgebenden Verfahren, sondern untersuche auch die sozialen und ethischen Fragen, die die Neurowissenschaften aufwerfen.

Pressekontakt: Stefanie Tyroller, Tel.: +49 (0Fax.: +49 (02461/ 61 46 66 e-mail: s.tyroller@fz-juelich.de

Kontakt: Dipl.-Psych. Cornelia R. Karger Tel.: +49 (0) 24 61-61 27 94 Fax: +49 (0) 24 61-61 29 50 e-mail: c.karger@fz-juelich.de

Das Forschungszentrum Jülich…

… betreibt interdisziplinäre Spitzenforschung zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit, Energie & Umwelt sowie Information. Kombiniert mit den beiden Schlüsselkompetenzen Physik und Supercomputing werden in Jülich sowohl langfristige, grundlagenorientierte und fächerübergreifende Beiträge zu Naturwissenschaften und Technik erarbeitet als auch konkrete technologische Anwendungen. Mit rund 4 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gehört Jülich, Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, zu den größten Forschungszentren Europas.

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Stefanie Tyroller Forschungszentrum Jülich GmbH

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