Wilms-Tumor-Gen WT1 steuert Funktionsfähigkeit der Niere

Alternsbedingte Nierenerkrankungen sind die Folge des Anstiegs der Lebenserwartung. Jenaer Forscher des Leibniz-Instituts für Altersforschung haben mit Kollegen aus Wien entdeckt, dass das Wilms-Tumor-Gen WT1 die Bildung und den Erhalt von Podozyten, hochdifferenzierte Zellen des Nierenfilters, auch in der adulten Niere steuert. WT1 ist damit nicht nur für die embryonale Entwicklung, sondern auch für den Erhalt der Niere wichtig. Nature Med. 2013, doi:10.1038/nm.3142.

In unserem Körper übernehmen die Nieren eine Reihe wichtiger Aufgaben; sie filtern das Blut und produzieren Urin, um Schadstoffe aus dem Körper auszuscheiden. Neben ihrer Filterfunktion steuern sie aber auch den Wasser- und Salzhaushalt und produzieren Hormone. Treten Schäden am Nierengewebe auf, wird die Funktionsweise der Niere eingeschränkt, meist mit fatalen Folgen für den gesamten Organismus.

Die Fokal segmentale Glomerulosklerose (FSGS) ist eine chronische Erkrankung der Niere, bei der Teile des Gewebes nach und nach vernarben, so dass schließlich die Filterfunktion der Niere aussetzt. Diese Erkrankung führt häufig zum nephrotischen Syndrom – einer deutlich erhöhten Eiweißausscheidung mit Verlust von Bluteiweißen (Proteinurie) und Ödemen (Wasseransammlungen im Körper). In Abhängigkeit vom Schweregrad werden die Betroffenen mit Medikamenten behandelt, die zu beträchtlichen Nebenwirkungen führen. Alternativ dazu ist eine dauerhafte Dialyse oder sogar eine Nierentransplantation erforderlich.

Einer Gruppe von Wissenschaftlern aus Österreich und Deutschland ist es nun gelungen, wichtige Faktoren für das Auftreten der Fokal segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) nachzuweisen. „Eine besondere Rolle spielen dabei die Podozyten, auch Füßchenzellen genannt, die für die spezifischen Eigenschaften des Nierenfilters essentiell sind“, berichtet Professor Christoph Englert vom Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena.

Die Podozyten sind hochdifferenzierte Zellen, die die äußere Schicht der glomerulären Filtrationsbarriere bilden und zwischen deren fußförmigen Ausläufern, auch Fußfortsätze genannt, der eigentliche Filtrationsprozess abläuft. Der Primärharn wird abgepresst und Blutzellen sowie Proteine werden zurückgehalten. „Im Nierengewebe von FSGS-Erkrankten sind die Fußfortsätze der Podozyten so stark abgeflacht, dass die filigrane Struktur der Filtrationsschlitze zerstört wird“, erklärt Ralph Sierig, ehemaliger Doktorand in der Arbeitsgruppe Englert, „so dass der Nierenfilter seine Selektivität verliert und Proteine, die eigentlich nicht filtriert werden sollten, im Urin ausgeschieden werden.“

Bereits in früheren Arbeiten konnten die Jenaer Forscher nachweisen, dass der Transkriptionsfaktor WT1 (Wilms-Tumor-Gen) in der Embryonalentwicklung maßgeblich an der Ausbildung einer gesunden und korrekt funktionierenden Niere beteiligt ist und Störungen im Entwicklungsprozess zu Nierenkrebs bei Kindern führt. In der aktuellen Studie fanden die Wiener Kollegen um Dontscho Kerjaschki, dass WT1 von einem kurzen RNA-Molekül von etwa 20 Nukleotiden, der mikroRNA-193a (miRNA-193a), ausgeschalten werden kann.

miRNAs wurden erst vor einigen Jahren entdeckt; sie kommen in Tieren und Pflanzen sowie beim Menschen vor und stellen wichtige Regulatoren der Genaktivität dar. Wird die miRNA-193a in der Niere erwachsener Mäuse aktiviert, führt dies zum Verlust von WT1 und damit zur Herunterregulierung von Proteinen, die für die Stabilität der Podozyten wichtig sind. In der Folge bricht anschließend die Filterfunktion der Niere zusammen. Das Anschalten der mikroRNA-193a könnte einer der Gründe für das Auftreten der FSGS sein. Wie und warum sie angeschaltet wird, ist Gegenstand derzeitiger Untersuchungen.

„Im Rahmen dieser neuen Studie haben wir ein Mausmodell entwickelt, wo wir in der Niere von adulten, d.h. erwachsenen Tieren, gezielt das WT1-Gen ausschalten können, um den Verlust der Podozyten-Struktur detaillierter zu untersuchen,“ berichtet Prof. Englert. „Diese neuen zellulären Mechanismen, die für die Podozyten-Destabilisierung verantwortlich sind, belegen, dass WT1 nicht nur für die Entwicklung der Niere, sondern auch für die Aufrechterhaltung der Funktion der Niere essentiell ist.“

Mit dem steigenden Durchschnittsalter der Menschen wird das chronische Nierenversagen zunehmend zu einer lebensbegrenzenden Erkrankung. Ersatztherapien, Transplantation und vor allem die regelmäßige Dialyse sind extrem teuer und belasten schon heute die Gesundheitsbudgets erheblich. „Vor diesem Hintergrund hat das neue Wissen über die Funktionsweise des WT1-Gens eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung“, unterstreicht Prof. Englert die neuen Forschungsergebnisse seines Teams. „Wenn wir den zugrundeliegenden Prozess für die Abnahme der Funktionsfähigkeit besser verstehen, gelänge es uns zukünftig vielleicht, die Organfunktion der Niere auch im Alter zu erhalten“, sind sich die Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Altersforschung einig.

Kontakt:

Dr. Kerstin Wagner
Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
Beutenbergstr. 11, 07745 Jena
Tel.: 03641-656378, Fax: 03641-656335, E-Mail: presse@fli-leibniz.de
Originalpublikationen:
Gebeshuber CA, Kornauth C, Dong L, Sierig R, Seibler J, Reiss M, Tauber S, Bilban M, Wang S, Kain R, Böhmig GA, Möller MJ, Gröne HJ, Englert C, Martinez J, Kerjaschki D. microRNA-193a induces focal and segmental glomerulosclerosis by down-regulation of WT1. Nature Medicine (2013), doi:10.1038/nm.3142.

Hintergrundinfo

Podozyten sind hochdifferenzierte, stark verzweigte epitheliale Zellen, die die äußere Schicht der glomerulären Filtrationsbarriere bilden. Mit ihren Endverzweigungen, den Fußfortsätzen, haften sie an der glomerulären Basalmembran. Zwischen den Fußfortsätzen, den Filtrationsschlitzen, erfolgt die Filtration. Podozyten sind für die spezifischen Eigenschaften des Nierenfilters essentiell.

Das Wilms-Tumor-Gen WT1 ist während der Embryonalentwicklung maßgeblich an der Ausbildung einer gesunden und korrekt funktionierenden Niere beteiligt. Ist dieser Entwicklungsprozess gestört, beispielsweise durch seltene Mutationen im WT1-Gen, kommt es im Kleinkindalter zur Ausbildung von Nierenkrebs (Nephroblastom oder Wilms-Tumor).

microRNAs, abgekürzt miRNAs, sind kurzkettige RNA-Moleküle, die aus etwa 22 Nukleotiden bestehen und bei Pflanzen und Tieren sowie beim Menschen vorkommen. Sie regulieren die Genexpression, indem sie in der Zelle spezifisch an Messenger-RNA (mRNA) binden und damit die Umsetzung von Genen in Proteine verhindern (Gene-Silencing). Bis heute konnten über 3.000 miRNAs in den verschiedensten Organismen identifiziert werden; weit über 900 unterschiedliche alleine beim Menschen. miRNAs scheinen eine wichtige Rolle bei der Entstehung zahlreicher Erkrankungen zu spielen, darunter Stoffwechselerkrankungen und Krebs.

Das Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena ist das erste deutsche Forschungsinstitut, das sich seit 2004 der biomedizinischen Altersforschung widmet. Über 330 Mitarbeiter aus 25 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alterungsprozessen und altersbedingten Krankheiten. Näheres unter http://www.fli-leibniz.de.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 86 selbständige Forschungseinrichtungen, deren Ausrichtung von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften reicht. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung, unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Die Institute pflegen intensive Kooperationen mit Hochschulen, der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland und unterliegen einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 16.500 Personen, darunter 7.700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,4 Milliarden Euro. Näheres unter http://www.leibniz-gemeinschaft.de.

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