Vorausschauende Datenbrille für Montage und Logistik

Der Vorgänger der Avikom-Brille kann zum Beispiel Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung bei der Montage von Vogelhäuschen unterstützen. Foto: CITEC/Universität Bielefeld

Das neue Forschungsprojekt „Avikom“ entwickelt ein intelligentes audiovisuelles Assistenzsystem für Beschäftigte in Montage und Logistik. Das System soll Beschäftigte künftig mit Handlungshinweisen über visuelle Einblendung und Sprache unterstützen und kann so auch bei Anlernprozessen assistieren. Die Datenbrille mit speziellem Headset liefert Informationen genau dann, wenn sie gebraucht werden.

Die Universität Bielefeld und die Fachhochschule Bielefeld kooperieren für das Projekt mit vier regionalen Unternehmen, den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld und zwei Branchenvereinen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Europäische Sozialfonds (ESF) fördern die neue Forschung bis April 2022. Insgesamt werden 2,4 Millionen Euro für das Projekt aufgewendet.

„In modernen Montage- und Logistikprozessen werden auch heute noch wesentliche Arbeiten von Hand erledigt. Das neue System soll bei solchen Tätigkeiten assistieren“, sagt Professor Dr. Thomas Schack, der die Forschungsgruppe „Neurokognition und Bewegung – Biomechanik“ der Universität Bielefeld leitet. Schack koordiniert das Projekt Avikom. Seine Gruppe gehört zur Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft und ist am Exzellenzcluster CITEC beteiligt.

„Heutzutage werden oftmals individuell angepasste Produkte in Auftrag gegeben, die dann als Sonderanfertigungen und Kleinserien hergestellt werden. Beschäftigte in der Montage müssen dafür von Produkt zu Produkt unterschiedliche Abläufe beherrschen. Bislang erhalten sie die Anleitungen dafür häufig als Printdokumente und haben so nur eine Hand für die Montage frei. Das ist umständlich und unproduktiv, weil sie sich sowohl auf das Ablesen als auf die Montage konzentrieren müssen. Die Avikom-Brille dagegen gibt vorausschauende und individuell zugeschnittene Unterstützung.“

Kognitives und mobiles Assistenzsystem
Die Avikom-Brille arbeitet mit Augmented Reality (erweiterter Realität) und blendet im Sichtfeld Zusatzinformationen ein. Zudem kombinieren die Forschenden sie mit einem intelligenten Kopfhörer mit Mikrofon (Headset for Augmented Auditive Reality, HEA²R), entwickelt von einem Gründungs-projekt des Instituts für Systemdynamik und Mechatronik (ISyM) der Fachhochschule Bielefeld. Darüber kann das Avikom-System ähnlich wie ein Navigationssystem mit der Nutzerin oder dem Nutzer sprechen.

„Auch können sich Beschäftigte in lauten Produktionszonen über das Gerät miteinander unterhalten, ohne dass sie der Umgebungslärm stört“, sagt Professor Dr. Joachim Waßmuth vom ISyM. „Dafür ist das System mit einem intelligenten Verfahren zur Störschallunterdrückung ausgestattet“.

Avikom steht für: Audiovisuelle Unterstützung durch ein kognitives und mobiles Assistenzsystem. „Das Besondere an unserem Assistenzsystem ist, dass es nicht einfach Handlungsanweisungen vorgibt. Es kennt die nutzende Person, erfasst die aktuelle Situation, erkennt also eigenständig Objekte und Handlungsschritte und richtet seine Unterstützung danach aus“, sagt Thomas Schack. Damit sich das System auf die jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer einstellen kann, werden die Fertigkeiten der Beschäftigten vorab über eine softwarebasierte Diagnostik erfasst. Die Software soll so vorausschauend diagnostizieren, welche Schwierigkeiten die Personen bei unterschiedlichen Arbeitsprozessen haben. Auf dieser Basis können über das System individualisierte Hinweise gegeben werden, um die Beschäftigten gezielt und motivierend zu unterstützen. „Damit bietet die Avikom-Brille eine ausgezeichnete Möglichkeit, technische Unterstützung an die Bedürfnisse der Beschäftigten individuell anzupassen“, sagt Professor Dr. Günter Maier von der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft. Er ist mit seiner Forschungsgruppe „Arbeits- und Organisationspsychologie“ an dem Projekt beteiligt.

Anwendungsszenarien
In dem neuen Projekt erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Anwendungsszenarien, die von den vier am Projekt beteiligten Unternehmen kommen. Die Tests des Systems laufen mit Beschäftigten in den Unternehmen.

• Avikom kommt etwa in Frage, um Ausbilderinnen und Ausbilder zu entlasten. So könnten Auszubildende sich mit der Datenbrille als Assistenzsystem mit Abläufen in der Werkhalle vertraut machen.

• Ein weiteres Anwendungsbeispiel ist die Fernunterstützung bei der Reparatur von Maschinen. So kann ein Mechaniker, dem Spezialwissen für eine Reparatur fehlt, sich über die Datenbrille von einer Expertin unterstützen lassen. Die Expertin muss nicht anreisen, sondern sieht gewissermaßen durch die Brille des Mechanikers, kann über den Kopfhörer kommentieren und kann Hinweise einblenden. Sie kann zum Beispiel einen Pfeil auf eine mögliche Fehlerkomponente setzen.

• In der Lagerlogistik kann die Brille zum Beispiel dafür sorgen, dass die Beschäftigten keine ausgedruckten Aufträge mehr benötigen, sondern eingeblendet oder angesagt bekommen, welche Waren zusammengestellt werden müssen. Die Brille kann Beschäftigte durch das Warenlager zu den jeweiligen Artikeln navigieren, sodass sie nicht immer wieder zum Zentralrechner zurückgehen müssen.

Die Vorgängerprojekte

Avikom führt die Forschungsarbeit aus drei vorangegangenen Projekten zusammen. So baut es auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts „Adamaas“ auf. Über drei Jahre entwickelten Forschende des Exzellenzclusters CITEC eine Datenbrille, um vor allem älteren und kognitiv beeinträchtigten Menschen den Alltag zu erleichtern. Die Brille kann zum Beispiel dabei helfen, einen digitalen Kaffeeautomaten zu bedienen. Auch kann sie in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung die Montage eines Vogelhäuschens unterstützen. Adamaas wurde 2018 im Innovationswettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ gewürdigt. Avikom greift darüber hinaus auf das im EXIST-Förderprojekt HEA²R entwickelte intelligente Headset zurück. Mit Blick auf psychologische Arbeitsgestaltung knüpft das Projekt an die Ergebnisse des Projekts „Arbeit 4.0 – Lösungen für die Arbeitswelt der Zukunft“ an. Dieses Projekt untersuchte, wie sich die digitale Transformation auf die Arbeitswelt und die Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Unternehmen auswirkt.

Die Partner

Mit einem Auftakttreffen im CITEC hat jetzt die Arbeit im Projekt Avikom begonnen. An dem Projekt sind außer den zwei Forschungsgruppen der Universität Bielefeld beteiligt: das Institut für Systemdynamik und Mechatronik der Fachhochschule Bielefeld, die Unternehmen Euscher und Dreckshage (beide aus Bielefeld), Fischer Panda (Paderborn) und MIT Systemarmaturen (Vlotho). Assoziierte Transferpartner sind die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, die Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld, das Bildungswerk der ostwestfälisch-lippischen Wirtschaft (BOW) und das Netzwerk OWL Maschinenbau (alle in Bielefeld).

Kontakt:
Prof. Dr. Thomas Schack, Universität Bielefeld,
Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC)
Telefon: 0521/106-6432, E-Mail: thomas.schack@uni-bielefeld.de

• Avikom-Projektsteckbrief: https://bit.ly/2Y2PTkT
• Zum Projekt Adamaas: „Ausgezeichnete Brille unterstützt beim Bauen und Backen“ (Pressemit-teilung vom 04.06.2018): https://bit.ly/2xD9NpG
• Zum Projekt „Arbeit 4.0 – Lösungen für die Arbeitswelt der Zukunft“: https://bit.ly/2YwXp2G
• Zum Projekt HEA2R: https://www.hea2r.com/

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Sandra Sieraad idw - Informationsdienst Wissenschaft

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