Umweltfaktoren erziehen Blutzellen zur richtigen Weiterentwicklung

Mit dem Verfahren wurde nun erstmals der Beweis erbracht, dass nicht allein zelleigene Mechanismen, sondern äußere Umwelteinflüsse wie etwa Wachstumsfaktoren die Linienentscheidungen der Vorläuferzellen direkt steuern.

Die in der jüngsten Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Science publizierten Ergebnisse liefern einen wesentlichen Baustein für das Verständnis der molekularen Mechanismen der Blutbildung. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um den therapeutischen Einsatz von Stammzellen zu optimieren.

Seit Jahrzehnten diskutieren Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen, welchen Anteil jeweils die genetische Disposition einerseits und Umweltfaktoren andererseits an der Entwicklung des Menschen haben. Die gleiche Diskussion führen auch Hämatologen und Stammzellforscher bei der Frage, ob die Differenzierung von multipotenten Vorläuferzellen allein durch zelleigene Mechanismen oder auch durch die Umwelt der Zelle beeinflusst wird.

Insbesondere war bislang die Rolle von Wachstumsfaktoren wie zum Beispiel Zytokinen ungeklärt: Beeinflussen sie Linienentscheidungen der Zellen direkt oder steuern sie nach vollendeter Linienentscheidung lediglich das Überleben der Zelle? Trotz der immensen, nicht zuletzt auch kommerziell weitreichenden, Bedeutung von Zytokinen für den klinischen Alltag war diese Frage immer noch eine der großen Unbekannten in der Stammzellbiologie des Blutes. „Uns fehlte bislang die geeignete Technologie, um die Prozesse der Zelldifferenzierung zu beobachten und quantitativ zu erfassen“, sagt Dr. Timm Schroeder, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Stammzellforschung des Helmholtz Zentrums München. „Wir wussten daher nicht, was in dieser Zeitspanne genau geschieht“, so Schroeder. So konnte auch die Rolle der Zytokine bislang nicht vollends aufgeklärt werden.

Schroeders Team hat nun neue Bioimaging-Ansätze entwickelt, mit denen sich Stammzellen langfristig und auf Einzelzellebene beobachten lassen. Je nach Art der vorhandenen Zytokine enthielten Kulturen von Blutvorläuferzellen nach einigen Tagen nur noch einen Zelltyp.

Ob dies eine Folge direkter Zytokinsteuerung war, oder lediglich der Aussortierung „falsch differenzierter“ Zellen durch Zelltod zu verdanken war, war bislang unbeantwortet geblieben. Dank der neuartigen Einzelzellbeobachtung konnte Dr. Michael Rieger zusammen mit Studenten in Schroeders Arbeitsgruppe nun erstmals zeigen, dass während des gesamten Zelldifferenzierungsprozesses kein Zelltod nachzuweisen ist. Dies beweist eindeutig, dass die Linienentscheidung von Blutzellen durch äußere Umwelteinflüsse wie in diesem Falle von Zytokinen gesteuert werden kann. Die Blutzellen werden quasi von den Zytokinen „erzogen“.

„Die Ergebnisse bestätigen uns, dass Signalwege, welche durch Zytokinrezeptoren aktiviert werden, die Linienentscheidungen der Zellen beeinflussen“, resümiert Schroeder. Die neue Methode bietet uns nun auch die einzigartige Chance, die Wirkung aller an dem Differenzierungsprozess mitwirkenden Moleküle getrennt voneinander zu beobachten und ihre Rolle besser zu verstehen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um den therapeutischen Einsatz von Stammzellen zu optimieren.

Weitere Informationen

Originalpublikation:
Rieger MA, Hoppe PS, Smejkal BM, Eitelhuber AC & Schroeder T (2009): Hematopoietic cytokines can instruct lineage choice. Science Vol. 325, no. 5937: 217-218 (online DOI: 10.1126/science.1171461)

http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/325/5937/217

Das Institut für Stammzellforschung am Helmholtz Zentrum München vereint unter Leitung von Prof. Magdalena Götz die Forschung an Stammzellen des Nervensystems, des blutbildenden Systems und des Endoderms. Insbesondere in Hinblick auf klinische Anwendungen ist es das Ziel des Instituts, die grundlegenden Mechanismen der Spezifizierung von Stammzellen zu klären, um diese gezielt zur Reparatur geschädigter Zellen einsetzen zu können.

Homepage: http://www.helmholtz-muenchen.de/isf/haematopoese/index.html

Das Helmholtz Zentrum München ist das deutsche Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt. Als führendes Zentrum mit der Ausrichtung auf Environmental Health erforscht es chronische und komplexe Krankheiten, die aus dem Zusammenwirken von Umweltfaktoren und individueller genetischer Disposition entstehen. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 1680 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens auf einem 50 Hektar großen Forschungscampus. Das Helmholtz Zentrum München gehört der größten deutschen Wissenschaftsorganisation, der Helmholtz-Gemeinschaft an, in der sich 16 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit insgesamt 26500 Beschäftigten zusammengeschlossen haben.

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Sven Winkler, Leiter der Abteilung Kommunikation, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Ingolstädter Landstraße 1 85764 Neuherberg. Tel.: ++49 (0)89-3187-3946, Fax: ++49 (0)89-3187-3324, E-Mail: presse@helmholtz-muenchen.de

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