Therapieansatz für das humane Usher-Syndrom: Kleine Moleküle ignorieren Stopp-Signale

Fluoreszenzmikroskopische Analyse von Zellen mit einer Nonsense-Mutation im Usher-Syndrom 1C-Gen (USH1C/Harmonin): Nach Applikation von PTC124 wird in der Zelle rechts diese USH1C-Mutation überlesen und das erhaltene Harmonin-Protein (grün) kann seine molekulare Funktion bei der Bündelung von Aktinfilamenten (rot) entfalten. Quelle: T. Goldmann, JGU, Institut für Zoologie<br>

Im dramatischsten Fall werden die Patienten taub geboren und leiden ab der Pubertät an einer Degeneration der Netzhaut, die zur völligen Erblindung führt. Für die Betroffenen bedeutet diese Krankheit eine große Einschränkung in ihrem alltäglichen Leben. Während der Gehörverlust mit Hörgeräten und Cochlea-Implantaten ausgeglichen werden kann, gibt es bislang noch keine Therapiemöglichkeit für das Auge. Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun einen neuen Therapieansatz für die Krankheit nachgewiesen.

In vorangegangen Studien erarbeitete sich das Forschungsteam um Univ.-Prof. Dr. Uwe Wolfrum vom Institut für Zoologie grundlegende Erkenntnisse über die molekularen Prozesse und Mechanismen, die zu dieser schwerwiegenden Erkrankung führen. Auf die Ergebnisse dieser erfolgreichen Grundlagenforschung aufbauend, evaluiert das Mainzer Usher-Therapieteam um Dr. Kerstin Nagel-Wolfrum potenzielle Therapiemöglichkeiten für das Auge. Hierbei liegt ein Fokus auf einer Mutation, die in einer deutschen Familie zu der schwerwiegendsten Form des Usher-Syndroms geführt hat. Bei dieser Mutation handelt es sich um eine sogenannte Nonsense-Mutation im USH1C-Gen, bei der ein Stopp-Signal in der DNA entsteht und folglich die Proteinsynthese vorzeitig abgebrochen wird.

In der Mai-Ausgabe der Fachzeitschrift „Human Gene Therapy“ hat das Forscherteam nun seine neuesten Arbeiten zu den pharmakogenetischen Therapieansätzen für die Behandlung von Usher-Syndrom-Patienten mit Nonsense-Mutationen publiziert. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass ein kleines Molekül namens PTC124 (Ataluren®) das Überlesen des Stopp-Signals im mutierten USH1C-Gen auslöst und dadurch die Proteinsynthese weiterläuft und das funktionelle Genprodukt in den Zell- und Organkulturen hergestellt wird. Der Wirkstoff PTC124 zeigte in der Studie neben seiner Überleseeigenschaft auch eine hervorragende Verträglichkeit in Netzhautkulturen der Maus und des Menschen. Zudem gelang es dem Team erstmals, das Überlesen einer Mutation im Auge in vivo nachzuweisen.

„PTC124 wird bereits bei anderen durch Nonsense-Mutationen bedingten Krankheiten wie z.B. der cystischen Fibrose oder der Duchenne-Muskeldystrophie in klinischen Studien getestet. Daher hoffen wir, dass dieser Therapieansatz in naher Zukunft auch für Usher-Syndrom-Patienten eingesetzt werden kann“, erklärt Dr. Kerstin Nagel-Wolfrum.

Zurzeit vergleicht Tobias Goldmann in abschließenden Arbeiten zu seiner Doktorarbeit die Effizienz der Überleserate und die Biokompatibilität weiterer Moleküle, die das Überlesen von Nonsense-Mutationen induzieren. Dabei stehen vor allem modifizierte Aminoglykoside, Abkömmlinge von handelsüblichen und klinisch erprobten Antibiotika, im Vordergrund. Diese werden vom israelischen Kooperationspartner Prof. Dr. Timor Bassov vom Technicon in Haifa designt und synthetisiert und wurden von den Mainzer Forschern auch schon erfolgreich zum Überlesen von Nonsense-Mutationen in Usher-Genen eingesetzt. Neben weiterführenden präklinischen Untersuchungen zur Anwendung der Wirkstoffe im Auge plant das Mainzer Usher-Labor, das neuartige Verfahren zur Therapie des Usher-Syndroms möglichst zeitnah in die Klinik direkt zum Patienten zu bringen.

Die translationalen biomedizinischen Forschungsarbeiten zum Überlesen der Nonsense-Mutationen zur Therapie des Usher-Syndroms wurden dank der Fördermittel der FAUN-Stiftung, des EU-Projekts „Syscilia“ und des Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft GRK 1044 „Entwicklungsabhängige und krankheitsinduzierte Modifikationen im Nervensystem“ durchgeführt und sind seit Kurzem im Mainzer Forschungsschwerpunkt Translationale Neurowissenschaften (FTN) integriert.

Veröffentlichungen:
Goldmann T, Overlack N, Wolfrum U, Nagel-Wolfrum K (2011) PTC124 mediated translational read-through of a nonsense mutation causing Usher type 1C. Hum. Gene Ther. 22:537-547. DOI: 10.1089/hum.2010.067

Goldmann T, Rebibo-Sabbah A, Overlack N, Nudelman I, Belakhov V, Baasov T, Ben-Yosef T, Wolfrum U, Nagel-Wolfrum K (2010) Designed aminoglycoside NB30 induces beneficial read-through of a USH1C nonsense mutation in the retina. Invest Ophthalmol Visual Sci 51:6671-80. DOI: 10.1167/iovs.10-5741

Weitere Informationen:
Dr. Kerstin Nagel-Wolfrum
Institut für Zoologie
Zell- und Matrixbiologie
Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
D 55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-20131 oder 39-23934
Fax +49 6131 39-23815
E-Mail: nagelwol@uni-mainz.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

KI-basierte Software in der Mammographie

Eine neue Software unterstützt Medizinerinnen und Mediziner, Brustkrebs im frühen Stadium zu entdecken. // Die KI-basierte Mammographie steht allen Patientinnen zur Verfügung und erhöht ihre Überlebenschance. Am Universitätsklinikum Carl Gustav…

Mit integriertem Licht zu den Computern der Zukunft

Während Computerchips Jahr für Jahr kleiner und schneller werden, bleibt bisher eine Herausforderung ungelöst: Das Zusammenbringen von Elektronik und Photonik auf einem einzigen Chip. Zwar gibt es Bauteile wie MikroLEDs…

Antibiotika: Gleicher Angriffspunkt – unterschiedliche Wirkung

Neue antimikrobielle Strategien sind dringend erforderlich, um Krankheitserreger einzudämmen. Das gilt insbesondere für Gram-negative Bakterien, die durch eine dicke zweite Membran vor dem Angriff von Antibiotika geschützt sind. Mikrobiologinnen und…

Partner & Förderer