Stoßdämpfend wie eine Pomelo, hart und stichfest wie Macadamia-Nüsse

Das Material, auf das die Werkstoffwissenschaftler Claudia Fleck und Paul Schüler immer wieder Druck ausüben, gibt diesem nach und nimmt dabei effizient die übertragene Energie auf. Es ist aus einer Aluminiumlegierung, extrem leicht und weist eine offenporige Schaumstruktur auf.

Dieser sogenannte bio-inspirierte Metallschaum ist der Schale der Zitrusfrucht Pomelo nachempfunden und das Ergebnis eines gemeinsamen Forschungsprojektes der TU Berlin, RWTH Aachen und der Universität Freiburg.

Pomelos, diese größten und schwersten Zitrusfrüchte der Welt, überstehen einen Sturz aus zehn Metern Höhe auf einen harten Betonboden und absorbieren beim Aufprall bis über 90 Prozent der kinetischen Energie. Ihre zwei bis drei Zentimeter dicke, extrem stoßdämpfende Schale sorgt für dieses Wunder. Wie aber ist dieses Wunder möglich?

„Die hohe und effiziente Energieabsorption der Pomelo-Schale liegt in ihrer inneren Struktur begründet“, sagt Dr.-Ing. Paul Schüler vom TU-Fachgebiet Werkstofftechnik, das von Prof. Dr.-Ing. Claudia Fleck geleitet wird. Zusammen mit den Aachener und Freiburger Kollegen wurde diese Struktur erforscht.

Licht-, rasterelektronenmikroskopische und computertomografische Untersuchungen ergaben: Das Innenleben der Pomelo-Schale ist hochkomplex und hierarchisch strukturiert. Hauptcharakteristikum ist eine offenporige Schaumstruktur. Der äußere Randbereich ist sehr fein-, der mittlere großporig und im Übergangsbereich zum Fruchtfleisch hin sind die Poren langgestreckt.

Zudem ist die Schale von steifen und sich verzweigenden Faserbündeln durchzogen, die senkrecht zur Außenseite der Schale verlaufen. „Das enorme spezifische Energieabsorptionsvermögen der Schale wird aber ganz offensichtlich durch die Stege der Schaumstruktur erzeugt. Diese sind innen hohl und mit einer Flüssigkeit gefüllt. Beim Aufprall wird die Flüssigkeit von einem Steg in den anderen gedrückt und bewirkt die stoßdämpfende Eigenschaft.

Die Schale platzt nicht auf und das Fruchtfleisch wird so vorm schnellen Verrotten bewahrt“, erklärt Paul Schüler. Diese Zusammenhänge zwischen Struktur und Eigenschaften aufzuzeigen, also zu verstehen, welche Eigenschaft durch welche Struktur begründet wird, ist ein wichtiger Aspekt in dem gemeinsamen DFG-Forschungsprojekt der drei Universitäten.

Gegenstand der Forschung war auch die Macadamia-Nuss. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessierten sich für sie, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes extrem schwer zu knacken ist. Die Schale ist nahezu resistent gegen Stiche und Schläge. Die am TU-Fachgebiet Werkstofftechnik durchgeführten mikrostrukturellen Untersuchungen zeigten eine siebenschichtige Sandwichstruktur.

Die äußere Schale weist kugel- bis kartoffelförmige sogenannte Sklereid-Zellen mit dicken Zellwänden auf. Dahinter folgt eine dicke Schicht mit ineinander verflochtenen Sklerenchymfasern. Sklereide und Sklerenchym sind pflanzliches Festigungsgewebe. „Die Festigkeit der Macadamia-Schale beruht nicht auf der Dicke der Schale, sondern auf ihrer Faserstruktur, die andere Nussschalen nicht aufweisen – so unsere Erkenntnis“, sagt Paul Schüler.

Diese Strukturen zu erkennen und zu verstehen ist die eine Seite. Die andere Seite ist, das Wissen darüber anzuwenden, zum Beispiel für die Entwicklung neuer Materialien. „Die Pomelo- und Macadamia-Nussschalen sind herausfordernde Inspirationsquellen für die bionische Entwicklung von Schutz- oder Behältermaterialien“, so Paul Schüler. Dabei geht es in der Bionik aber nicht darum, die Natur eins zu eins nachzubauen. Dafür sind die biologischen Strukturen zu komplex.

Die Wissenschaftler wollen von der Komplexität abstrahieren und bei der Entwicklung neuer Materialien nur die Struktur- und Funktionsprinzipien nutzen, die die gewünschten Eigenschaften im Wesentlichen verantworten. Interessant wäre, so Paul Schüler, ein neues Material zu entwickeln, das die hervorstechenden Eigenschaften der Pomelo-Schale – hohe und energieeffiziente Energieabsorption – und die der Macadamia-Nuss – extreme Festigkeit und Zähigkeit – miteinander kombiniert.

Aus einem solchen Material könnten dann Sturzhelme, Schutzwesten oder Crashabsorber beim Auto hergestellt werden. Und geradezu fantastisch wäre es, gelänge es, die Außenhülle eines Flugzeuges aus einem solchen Material zu bauen, sodass es einen Absturz übersteht und nicht auseinanderbricht. Die Passagiere blieben geschützt. Denn genau diese Funktion erfüllen die Schalen der Pomelo und der Macadamia-Nuss: Sie schützen das Innere.

Das DFG-Forschungsprojekt „Impact resistant hierarchically structured materials based on fruits walls and nutshells“ gehört zum DFG-Schwerpunktprogramm SPP 1420 “Biomimetic Materials Research: Functionality by hierarchical structuring of Materials”.

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Prof. Dr.-Ing. Claudia Fleck
TU Berlin
Fachgebiet Werkstofftechnik
Tel.: 030/314-23605
E-Mail: claudia.fleck@tu-berlin.de

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Stefanie Terp idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.tu-berlin.de/

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