Das Spiegelbild der Geisterteilchen

Das Modell des GERDA-Experiments zeigt den schalenartigen Aufbau, bei dem zur Unterdrückung störender Signale aus der Umgebung von außen nach innen immer reinere Materialien eingesetzt sind. Die Germaniumdioden im Innern des mit 64000 Liter flüssigem, minus 186 Grad Celsius kaltem Argon gefüllten Kryostaten sind vergrößert dargestellt. MPIK<br>

Neutrinos sind scheue Teilchen, die mit allen anderen Bausteinen der Materie nur extrem selten wechselwirken. Sie haben ungewöhnliche Eigenschaften – und sie sind vermutlich sogar mit ihren eigenen Antiteilchen identisch.

Allerdings ist das bisher noch nicht experimentell bestätigt worden. Wissenschaftler der GERDA-Kollaboration haben nun neue Grenzen für den neutrinolosen Doppelbetazerfall gesetzt, der überprüft, ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind. Das Resultat widerlegt eine frühere Entdeckungsmeldung.

Neben Photonen sind Neutrinos die häufigsten Teilchen im All. Sie werden oft Geisterteilchen genannt, weil sie so extrem selten mit Materie wechselwirken. Daher bilden sie einen unsichtbaren, aber bedeutenden Bestandteil des Universums und könnten etwa genauso viel zu dessen Masse beitragen wie alle anderen bekannten Formen von Materie; dabei bewegen sie sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit über phantastische Entfernungen.

Außerdem haben ihre winzigen Massen einen wichtigen Einfluss auf die Strukturen im Universum, und sie sind die treibende Kraft bei der Explosion von Supernovae. Ihre bemerkenswerteste und wichtigste Eigenschaft aber wurde von Ettore Majorana in den 1930er-Jahren postuliert: Im Gegensatz zu allen anderen Teilchen, aus denen die uns umgebende Materie besteht, könnten sie ihre eigenen Antiteilchen sein.

Teilchen und Antiteilchen unterscheiden sich vor allem durch das Vorzeichen ihrer elektrischen Ladung. So etwa ist das Positron, das Antiteilchen des negativ geladenen Elektrons, elektrisch positiv geladen. Das Neutrino dagegen ist elektrisch neutral – die Voraussetzung dafür, dass es sein eigenes Antiteilchen sein kann. Ob das tatsächlich zutrifft, soll das Experiment GERDA (GERmanium Detector Array) klären, das im Untergrundlabor Laboratori Nazionali del Gran Sasso des Istituto Nazionale di Fisica Nucleare in Italien betrieben wird. Zudem wollen die Forscher die Masse der Neutrinos bestimmen. Dazu untersucht GERDA sogenannte Doppelbeta-Zerfallsprozesse des Germanium-Isotops Ge-76 mit und ohne Emission von Neutrinos – letzterer eine Konsequenz der Majorana-Eigenschaft.

Beim normalen Betazerfall wird aus einem Neutron im Kern ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino. Für Kerne wie Ge-76 ist dieser Zerfall energetisch verboten, aber die gleichzeitige Umwandlung von zwei Neutronen unter Emission zweier Neutrinos ist möglich und wurde kürzlich von GERDA mit bisher unerreichter Präzision gemessen. Es handelt sich um einen der seltensten jemals beobachteten Zerfälle mit einer Halbwertszeit von etwa 2 x 1021 Jahren – entsprechend dem rund 100-milliardenfachen Alter des Universums.

Falls Neutrinos Majorana-Teilchen sind – also ihre eigenen Antiteilchen –, sollte der Doppelbetazerfall ohne Emission von Neutrinos ebenfalls stattfinden, und zwar mit einer noch geringeren Rate. In diesem Fall wird das Antineutrino des einen Betazerfalls vom zweiten beta-zerfallenden Neutron als Neutrino absorbiert – was nur möglich ist, wenn Neutrino und Antineutrino identisch sind.

Bei GERDA sind Germaniumkristalle zugleich Quelle und Detektor des Zerfalls. Natürliches Germanium enthält nur etwa acht Prozent Ge-76, das deshalb um mehr als das Zehnfache angereichert wurde, bevor daraus die speziellen Detektorkristalle gezogen wurden. Die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen ist eine Kleinigkeit gegenüber dem Nachweis des Doppelbetazerfalls, weil die Radioaktivität der Umgebung milliardenfach stärker ist. Die Detektorkristalle für GERDA und die sie umgebenden Teile wurden daher sehr sorgfältig ausgewählt und verarbeitet.

Zur Beobachtung des äußerst seltenen Prozesses bedarf es außerdem sehr ausgefeilter Techniken, um den Untergrund von kosmischen Teilchen, natürlicher Radioaktivität der Umgebung und sogar dem Experiment selbst weiter zu unterdrücken. Den Wissenschaftlern gelingt das, indem sie die Detektoren in der Mitte einer riesigen „Thermoskanne“ betreiben, die mit extrem reinem flüssigem Argon gefüllt, mit hochreinem Kupfer ausgekleidet und von einem mit Reinstwasser gefüllten Tank von zehn Metern Durchmesser umgeben ist. Dieser Aufbau befindet sich unter 1400 Meter Gestein. Erst die Kombination all dieser Techniken ermöglichte es, den störenden Untergrund auf ein extrem tiefes Niveau zu senken.

Im Herbst 2011 starteten die Messungen mit zunächst acht Detektoren von der Größe einer Getränkedose und jeweils etwa zwei Kilogramm Gewicht; später kamen fünf weitere Detektoren neuer Bauart hinzu. Bis vor kurzem war der Signalbereich in den Daten ausgeblendet, und die Physiker konzentrierten sich auf die Optimierung des Verfahrens zur Datenanalyse. Das Experiment hat jetzt seine erste Phase abgeschlossen.

Die Analyse, für die sämtliche Kalibrierungen und Filter vor Verarbeitung der Daten im Signalbereich definiert waren, ergab kein Signal des neutrinolosen Doppelbetazerfalls in Ge-76, was zu der weltbesten Untergrenze für dessen Halbwertszeit von 2,1 x 1025 Jahren führt. Zusammen mit den Ergebnissen anderer Experimente schließt dieses Resultat eine frühere Behauptung, ein Signal gefunden zu haben, aus.

Damit bleibt zwar die Frage derzeit noch offen, ob Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind; die neuen Resultate von GERDA haben jedoch interessante Konsequenzen für das Wissen über Neutrinomassen, Erweiterungen des Standardmodells der Elementarteilchenphysik, astrophysikalische Prozesse und Kosmologie.

In einem nächsten Schritt wollen die Forscher zusätzliche neue Detektoren einsetzen und damit die Menge von Ge-76 in GERDA verdoppeln. Sobald einige weitere Verbesserungen zur noch stärkeren Untergrundunterdrückung umgesetzt sind, soll eine zweite Messphase folgen.

GERDA ist eine europäische Kollaboration, die Wissenschaftler aus 16 Forschungsinstituten oder Universitäten in Deutschland, Italien, Russland, der Schweiz, Polen und Belgien umfasst. In Deutschland sind die Max-Planck-Institute für Kernphysik in Heidelberg und für Physik in München, die Technische Universität München, die Universität Tübingen und die Technische Universität Dresden beteiligt. Die Max-Planck-Gesellschaft ist wesentlicher Geldgeber des Projekts; die Universitäten werden vom BMBF und der DFG unterstützt.

Originalveröffentlichung:
Results of neutrinoless double beta decay of 76Ge from GERDA Phase arXiv, 16. Juli 2013
Ansprechpartner:
Dr. Gertrud Hönes
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Telefon: +49 6221 516-572
E-Mail: oea@­mpi-hd.mpg.de
Silke Zollinger
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Physik, München
Telefon: +49 89 32354-292
E-Mail: silke.zollinger@­mpp.mpg.de
Prof. Manfred Lindner
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Telefon: +49 6221 516-800
E-Mail: lindner@­mpi-hd.mpg.de
Dr. Béla Majorovits
Max-Planck-Institut für Physik, München
Telefon: +49 89 32354-262
E-Mail: bela@­mppmu.mpg.de
Prof. Stefan Schönert
TU München
Tel.: 089 289 12511
E-Mail: schoenert@ph.tum.de
Prof. Peter Grabmayr
Uni Tübingen
Tel.: 07071 297 4450
E-Mail: grabmayr@uni-tuebingen.de
Prof. Kai Zuber
TU Dresden
Tel.: 0351 463 42250
E-Mail: zuber@physik.tu-dresden.de

Media Contact

Dr Harald Rösch Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

KI-basierte Software in der Mammographie

Eine neue Software unterstützt Medizinerinnen und Mediziner, Brustkrebs im frühen Stadium zu entdecken. // Die KI-basierte Mammographie steht allen Patientinnen zur Verfügung und erhöht ihre Überlebenschance. Am Universitätsklinikum Carl Gustav…

Mit integriertem Licht zu den Computern der Zukunft

Während Computerchips Jahr für Jahr kleiner und schneller werden, bleibt bisher eine Herausforderung ungelöst: Das Zusammenbringen von Elektronik und Photonik auf einem einzigen Chip. Zwar gibt es Bauteile wie MikroLEDs…

Antibiotika: Gleicher Angriffspunkt – unterschiedliche Wirkung

Neue antimikrobielle Strategien sind dringend erforderlich, um Krankheitserreger einzudämmen. Das gilt insbesondere für Gram-negative Bakterien, die durch eine dicke zweite Membran vor dem Angriff von Antibiotika geschützt sind. Mikrobiologinnen und…

Partner & Förderer