Das Skelett der Chromosomen

Grafische bearbeitete fluoreszenzmikroskopische Aufnahme von Zellkernen ohne Wapl-Funktion, in denen das Kohesin “Vermicelli”-Strukturen bildet. Die Zellkerne wurden nachträglich eingefärbt und unterschiedlich skaliert. IMP<br>

Jan-Michael Peters und sein Team am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) konnten nachweisen, dass Chromosomen eine Art Skelett besitzen. Die molekulare Stütze ist aus Cohesin-Proteinen aufgebaut. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals NATURE beschreiben die Forscher ihre Entdeckung.

In jeder Zelle des menschlichen Körpers ist eine gesamte Ausgabe der Erbinformation enthalten, abgespeichert in Form von DNA. Etwa dreieinhalb Meter dieses fadenförmigen Moleküls finden im Zellkern Platz, dessen Durchmesser jedoch nur einen hundertstel Millimeter beträgt. Proportional vergrößert entspräche das einem Fußball, in dem ein 150 Kilometer langer Strang verstaut werden muss. Wie die Zelle diese Verpackungsaufgabe löst, verstehen Wissenschaftler bisher nur sehr wenig.

Zellen als Verpackungskünstler

Relativ gut untersucht sind die Histon-Proteine, um die sich die DNA wie um eine Spule legt und platzsparend aufwickelt. Mit dieser Art der Verpackung beschäftigt sich eine eigene Disziplin, die Epigenetik. Doch auch einfache Organismen ohne Histone müssen ihr Erbgut stark komprimieren, und auch in menschlichen Zellen können die Histone die DNA vermutlich alleine nicht verpacken.

Eine Arbeitsgruppe um IMP-Direktor Jan-Michael Peters konnte nun nachweisen, dass ein Protein-Komplex namens Cohesin wesentlich dazu beiträgt, DNA in einer kompakten Form zu stabilisieren. Cohesin ist evolutionär sehr alt und findet sich bereits in Bakterien, die noch ohne Zellkern auskommen. Es könnte also eine sehr ursprüngliche Funktion bei der Strukturierung der DNA haben.

Den Zellbiologen ist Cohesin bereits bekannt. Der Komplex ist für die korrekte Aufteilung der Schwesterchromatiden bei der Zellteilung mitverantwortlich. Seine Untereinheiten bilden dabei einen molekularen Ring, der die zuvor verdoppelten Chromosomen so lange umschließt, bis der exakte Zeitpunkt der Trennung gekommen ist. Die Struktur und die Funktion des Cohesin-Komplexes bei der Zellteilung wurden erstmals 1997 am IMP entdeckt und seitdem genauer untersucht.

Dass die Architektur der Chromosomen auch zwischen den Zellteilungen auf Cohesin angewiesen ist, war bisher nicht bekannt und wurde nun in einem indirekten Verfahren nachgewiesen. Der Biologe Antonio Tedeschi aus dem Team von Jan-Michael Peters untersuchte Zellen, in denen das Protein Wapl experimentell stillgelegt worden war. Dieses Molekül kontrolliert, wie eng sich Cohesin mit DNA verbindet. Fehlt Wapl, so ist die Bindung von Cohesin an DNA ungewöhnlich stabil. Als Folge davon können diese Zellen ihre Gene nicht zum richtigen Zeitpunkt ablesen und sich nicht teilen.

Vermicelli stützen Chromosomen

Bei der mikroskopischen Analyse dieser Zellen entdeckte Tedeschi in den Zellkernen lange, fadenförmige Strukturen aus Cohesin, die er „Vermicelli“ taufte (italienisch für ‚kleine Würmer’). Jedem Chromosom ließ sich einer dieser Fäden zuordnen. Daraus schließen die Forscher, dass Chromosomen eine Art Skelett besitzen, das im Wesentlichen aus Cohesin besteht.

„Wir nehmen an, dass Cohesin für die Chromosomen eine ähnliche Funktion hat wie die Knochen für den Bewegungsapparat“, meint Jan-Michael Peters. „Die Stabilität unseres Körpers hängt, wenn auch indirekt, vermutlich ebenso vom Cohesin-Skelett der Chromosomen ab wie vom knöchernen Skelett.“

Wie sehr wir auf die einwandfreie Funktion von Cohesin angewiesen sind, wird bei geringsten Schädigungen des Systems offensichtlich. Einige seltene Erbkrankheiten werden mit Mutationen im Cohesin-Gen in Verbindung gebracht. Die fehlerhafte Struktur des Moleküls führt zu gravierenden Entwicklungsstörungen und starken gesundheitlichen Einschränkungen. Derzeit stehen jedoch noch keine kausalen Therapieoptionen zur Verfügung.

Originalpublikation: Wapl is an essential regulator of chromatin structure and chromosome segregation. Antonio Tedeschi et al. Doi: 10.1038/nature12471

Über das IMP
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung und wird dabei maßgeblich von Boehringer Ingelheim unterstützt. Mehr als 200 ForscherInnen aus über 30 Nationen widmen sich der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen und Krankheitsmechanismen zu entschlüsseln.
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