Schwertransporter im Rückwärtsgang – Wüstenameisen finden auch rückwärts sicher nach Hause

Eine Wüstenameise transportiert im Rückwärtsgang eine tote Spinne Foto: Dr. Matthias Wittlinger

Sie sind emsig, unermüdlich und unglaublich stark: die Wüstenameisen. Bis das Zehnfache ihres Eigengewichtes können sie mit Hilfe ihrer klauenartigen Mundwerkzeuge transportieren. Haben sie etwas Nahrhaftes gefunden, geht es auf direktem Weg damit zurück zum Bau. Sind die Lasten besonders schwer, bevorzugen sie den Rückwärtsgang.

Ulmer Biologen haben nun herausgefunden, dass Wüstenameisen den Heimweg zum Ameisennest dabei genauso zielsicher zurücklegen wie vorwärts. Außerdem konnten die Forscher nachweisen, dass die rückwärts laufenden Sechsbeiner eine besondere Gangart einschlagen, bei der mehr Beine am Boden bleiben als beim Vorwärtsgang.

„Sie benutzen im Rückwärtsgang eine Art flexiblen Allrad-Antrieb“, erklärt Dr. Matthias Wittlinger. Der Biologe vom Institut für Neurobiologie an der Universität Ulm hat gemeinsam mit den Doktorandinnen Sarah Pfeffer und Verena Wahl erstmals untersucht, wie sich Lokomotorik und Kinematik von vorwärts- und rückwärtslaufenden Wüstenameisen voneinander unterscheiden.

„Normalerweise zeigen Insekten eine strikte Kopplung von Beinbewegungen. Bei den vorwärtslaufenden Ameisen sind das Vorder- und Hinterbein der einen Seite neurologisch mit dem Mittelbein der anderen Seite verbunden“, erläutert Pfeffer die als „Tripod“ bezeichnete Gangart. Anders als vermutet läuft der Rückwärtsgang der Cataglyphis fortis völlig unterschiedlich ab.

Mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera (500 Bilder pro Sekunde) konnten die Ulmer Wissenschaftler erstmals zeigen, dass die Beinkoordination völlig variabel ist, wobei jedes Bein einzeln gesteuert wird. „Außerdem hat die Ameise beim Lastentransport im Rückwärtsgang meistens mehr als vier Beine am Boden, was sicherlich die Stabilität des Ameisenkörpers und damit auch die Kraftübertragung beim Schleppvorgang erhöht“, vermutet Wittlinger.

In einer zweiten Studie, die ebenfalls in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Journal of Experimental Biology“ veröffentlicht wurde, gelang es Dr. Matthias Wittlinger und Sarah Pfeffer herauszufinden, wie die Wüstenameise ihren Heimweg im Rückwärtsgang findet, also zielsicher navigiert. In einer äußerst kargen und lebensfeindlichen Landschaft wie den tunesischen Salztonebenen, wo die Ulmer Biologen ihre Freilandversuche durchgeführt haben, orientieren sich die Ameisen nicht an Pheromonspuren wie viele andere Insekten. Stattdessen nehmen sie das umliegende Landschaftspanorama visuell wahr und nutzen den Stand der Sonne und den Polarisationsgrad des Lichtes als eine Art Kompass.

„Ein weiteres Navigationsinstrument der Ameisen ist allerdings eine Art Schrittzähler, der zur Entfernungsmessung eingesetzt wird“, so die Doktorandin Pfeffer. Ein neurobiologisches System wie der sogenannte Schrittintegrator sorgt dafür, dass nicht nur die Anzahl der Schritte in die jeweilige Entfernungsberechnung eingeht, sondern auch die Schrittlängen und -richtungen jedes einzelnen Schrittes. Dies hat zur Folge, dass für eine „echte“ Navigationsleistung die beim Rückwärtsgehen veränderte Schrittkoordination berücksichtigt werden muss. „Eine beachtliche Fähigkeit“, wie die Ulmer Biologen finden.

Für deren Nachweis machten sie ein trickreiches Experiment: Nachdem die Ameisen an der Futterstelle ihre nahrhafte Ladung in Empfang genommen hatten, wurden sie von den Wissenschaftlern „entführt“ und auf einem Versuchsfeld mit Gitterfeldlinien wieder ausgesetzt. Diese tagaktiven und extrem schnellen Wüstenläufer wurden dann auf dem „vermeintlichen“ Heimweg zu ihrem Bau gefilmt und die visuellen Protokolle später im Labor digitalisiert und ausgewertet.

Je nach Größe ihres „Lunchpakets“ liefen sie dabei vorwärts oder rückwärts. Dabei zeigte sich, dass sich die geländegängigen und flinken Lastentransporter – sowohl beim Vorwärtslaufen als auch im Rückwärtsgang – mit derselben Zielstrebigkeit dem virtuellen Ameisenbau näherten wie zuvor dem tatsächlichen. „Sie vollbringen dabei eine Art Vektorrechnung, bei der sowohl Richtungs- als auch Entfernungsinformationen berücksichtigt werden“, so die Naturforscher fasziniert.

Nicht nur für die Biologie sondern auch für die Bionik und die Robotik sind diese Erkenntnisse zur Fortbewegung und Navigation der Wüstenameisen von Nutzen. „Mit dem Wissen, wie sich Wüstenameisen mit Hilfe von Richtungs-, Bewegungs- und Entfernungsdaten auf unwegsamen Terrain zurechtfinden, könnten beispielsweise die Navigationssysteme sechsbeiniger Laufroboter optimiert werden“, glaubt Sarah Pfeffer.

Übrigens staunten die Forscher noch über einen weiteren Befund: auf dem Rückweg zum Nest lassen die Ameisen die großen Futterbrocken immer wieder liegen, um in kreisenden Bewegungsmustern die nähere Umgebung abzulaufen. „Es sieht so aus, als wären sie auf der Suche nach weiteren Anhaltspunkten zur Orientierung“, vermutet Dr. Matthias Wittlinger. Diese heiße Spur wollen die Ulmer Ameisenforscher in Zukunft auf jeden Fall weiterverfolgen.

Weitere Informationen:
Dr. Matthias Wittlinger; Tel.: 0731 / 50 – 22643; E-Mail: matthias.wittlinger@uni-ulm.de;
Sarah Pfeffer; Tel.: 0731 / 50 – 22687; E-Mail: sarah.pfeffer@alumni.uni-ulm.de;

Literaturhinweis:
Pfeffer, S. E., Wahl, V.L. & Wittlinger, M. (2016): How to find home backwards? Locomotion and inter-leg coordination during rearward walking of Cataglyphis fortis desert ants. In: Journal of Experimental Biology;
doi: 10.1242/jeb.137778
http://jeb.biologists.org/lookup/doi/10.1242/jeb.137778

Pfeffer, S. E., & Wittlinger, M. (2016): How to find home backwards? Navigation during rearward homing of Cataglyphis fortis desert ants. In: Journal of Experimental Biology; doi:10.1242/jeb.137786
http://jeb.biologists.org/lookup/doi/10.1242/jeb.137786

http://jeb.biologists.org/lookup/doi/10.1242/jeb.137778
http://jeb.biologists.org/lookup/doi/10.1242/jeb.137786

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