Reproduktionsmedizin: Was ist in Deutschland möglich, was nicht erlaubt?

Bei 15 bis 20 Prozent aller Paare in Deutschland funktioniert das so einfach jedoch nicht. Sie sind ungewollt kinderlos, ihr Sexualleben wird nicht selten Mittel zum Zeck, weil sie sich häufig stark unter Druck setzen. Viele dieser 1,6 Millionen Paare (etwa 300.000) begeben sich deswegen jedes Jahr in ärztliche Behandlung.

„Die Dunkelziffer ist ungleich größer“, schätzt Professor Klaus Diedrich von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Direktor der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Lübeck. „Die Zahlen werden wahrscheinlich auch weiterhin steigen, da der Kinderwunsch heute durch die Berufsausbildung und andere soziale Gegebenheiten eher in eine spätere Lebensphase der Frau gelegt wird.“

Und die Chance schwanger zu werden ist in erster Linie vom Alter der Frau abhängig. Sie sinkt ab dem 35. Lebensjahr deutlich. Professor Diedrich: „Ungewollte Kinderlosigkeit in Deutschland ist nicht sicher zu quantifizieren. Aber sie stellt ein großes Problem dar.“ Denn die Folgen ungewollter Kinderlosigkeit sind vielfältig: Männer und Frauen leiden unter Selbstzweifeln bis hin zu Depressionen, Ehen werden geschieden, Paare trennen sich.

Männer und Frauen gleichsam betroffen
Die Ursachen liegen fast gleichmäßig verteilt bei Mann und Frau. In 40 Prozent der Fälle liegt die Ursache bei der Frau mit Störungen der Eierstocksfunktion (30 Prozent) und Störungen der Eileiterfunktion (40 Prozent). Daneben können hormonelle Störungen, Endometriose sowie Funktionsstörungen der Gebärmutter die Fruchtbarkeit der Frau herabsetzen. Eine eingeschränkte Samenzellqualität des Mannes ist in etwa 36 Prozent der Fälle der Grund für die Unfruchtbarkeit. Die restlichen 24 Prozent müssen als idiopathisch angesehen werden, das heißt, hier ist keine eindeutige Ursache für die Kinderlosigkeit des Paares bei einem der Partner erkennbar. „Natürlich wirken sich darüber hinaus die Lebensgewohnheiten von Männern und Frauen auf deren Fruchtbarkeit aus. So sind eine gesunde und ausgeglichene Psyche, ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung sowie die Aufgabe des Rauchens sicher förderlich“, erklärt der Gynäkologe.
Standard-Verfahren ICSI und IVF – Baby-Take-Home-Rate: 21 Prozent
Die sogenannte assistierte Reproduktion wird in Deutschland eingesetzt, wenn die herkömmlichen Verfahren der Kinderwunschbehandlung nicht zu einer Schwangerschaft geführt haben. Dies ist zum einen die In-vitro-Fertilisation (IVF), die in erster Linie helfen kann, wenn die Eileiterfunktion bei der Frau gestört ist. Weltweit gibt es 4,2 Millionen Kinder, die nach einer In-vitro-Fertilisation geboren wurden. In Deutschland sind es 198.000 Kinder. Pro Jahr kommen in Deutschland derzeit rund 13.000 Kinder auf diesem Wege zur Welt.

Darüber hinaus hilft Paaren die sogenannte intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). ICSI wird eingesetzt, wenn die Samenzellqualität beim Mann nicht ausreichend ist, und es nicht zu erwarten ist, dass die Samenzellen die Eizelle auf normalem Wege befruchten können. Es wird dabei unter dem Mikroskop die Samenzelle direkt in die Eizelle gespritzt und somit die Eizelle befruchtet. Die Verfahren IVF und ICSI werden in Deutschland jährlich etwa 60.000 Mal durchgeführt. Die Chance, durch eine assistierte Reproduktion schwanger zu werden und auch ein Kind zu bekommen, beträgt dabei 21 Prozent im Rahmen eines Behandlungszyklus. Zum Vergleich: bei einem gesunden Paar mit normalen Voraussetzungen beträgt die Chance für eine Schwangerschaft nach dem Eisprung der Frau 24 Prozent.

Neue Methoden: Paare in Deutschland werden nicht nach aktuellem wissenschaftlichen Stand behandelt

Die sogenannte Vitrifikation ist ein neues Verfahren der Kryokonservierung (Einfrierung und Lagerung) von Eizellen. Sie ist sinnvoll, wenn mehr Eizellen gewonnen wurden als pro Zyklus verwendet werden, wenn Frauen sich einer Chemotherapie unterziehen müssen oder eine späte Schwangerschaft erwägen. Dabei werden Eizellen in einem ultraschnellen Verfahren eingefroren. Durch Zugabe bestimmter Lösungen wird ihnen das intrazelluläre Wasser entzogen. Die Bildung von zellzerstörenden Eiskristallen wird so verhindert. Dank dieser Technologie ist es möglich geworden, die Behandlungsergebnisse deutlich zu verbessern. Die Schwangerschaftsrate ist ähnlich gut wie nach der IVF, also dem Embryotransfer mit frischen Eizellen (30 Prozent).

Mit dem sogenannten selektiven Embryotransfer ist es heute möglich, von mehreren Embryonen denjenigen auszuwählen, der sich am ehesten in die Gebärmutter einpflanzen kann. Der selektive Embryonentransfer bietet die Möglichkeit, die Schwangerschaftsrate deutlich zu verbessern (35 bis 40 Prozent) und gleichzeitig die Mehrlingsrate zu reduzieren. Dies wird im Ausland bereits praktiziert. Das Embryonenschutzgesetz lässt jedoch diese Auswahl in Deutschland nicht zu. „Das Embryonenschutzgesetz muss geändert werden, damit auch in Deutschland die Paare nach dem neuesten internationalen Wissensstand behandelt werden können. Hierzu gehört der selektive Embryotransfer, wodurch zum einen die Chance einer Schwangerschaft erhöht und zum anderen die Mehrlingsrate deutlich reduziert werden kann“, erklärt der ehemalige DGGG-Präsident Professor Diedrich. Die Mehrlingsschwangerschaft ist ein unerwünschtes Risiko nach assistierter Reproduktion. „Darüber hinaus sollten andere Verfahren wie zum Beispiel die Eizellspende in Deutschland erlaubt werden“, so Diedrich. In Deutschland ist sie gesetzlich verboten, in den meisten anderen europäischen Ländern, wie Spanien, Polen oder der Slowakei, gibt es dazu keine gesetzlichen Regelungen, und meist wird sie einfach geduldet. Dies fördert den sogenannten Fruchtbarkeitstourismus.

Die Präimplantationsdiagnostik ist nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes in Deutschland möglich geworden und kann jetzt zum Ausschluss von schweren genetischen und nicht behandelbaren Erbkrankheiten eingesetzt werden. Mittels Präimplantationsdiagnostik kann bereits vor einer Schwangerschaft eine Erbkrankheit wie Mukoviszidose oder die Bluterkrankheit Hämophilie A durch Untersuchung des Embryos ausgeschlossen werden. Das sogenannte Aneuploidiescreening zum Ausschluss von chromosomalen Störungen sollte die Chance für eine Schwangerschaft bei älteren Patientinnen verbessern. Hier werden einzelne Zellen des Embryos auf Chromosomenfehler untersucht, bevor sie in die Gebärmutter eingebracht werden. Es hat sich jedoch in großen Studien gezeigt, dass dies entgegen den Erwartungen nicht möglich ist. Vermutlich verläuft die Entwicklung des Embryos durch Zellentnahme ungünstiger als ohne diese Zellentnahme.

Auch der sogenannte Blastozystentransfer wurde in der Vergangenheit als ein gutes Verfahren angesehen, die Schwangerschaftsrate zu verbessern. Hier werden die Embryonen fünf Tage lang kultiviert, um das sogenannte Blastozystenstadium der embryonalen Entwicklung zu erreichen. Auch im Rahmen der natürlichen Empfängnis nisten sich die Embryonen etwa am fünften Tag im Blastozystenstadium in die Gebärmutter ein. Es zeigte sich jedoch auch hier nach großen Studien, dass der Transfer des Embryos im Blastozystenstadium am fünften Tag keine Vorteile hat.

Reproduktionsmedizin auf dem DGGG-Kongress:

6. Oktober 2010, 12:00 – 13 Uhr
Keynote lecture, Prof. Paul Devroey, Brüssel; Thema: „Are infertile couples treated in a better way in Belgium than in Germany?“ („Werden infertile Paare in Belgien besser behandelt als in Deutschland?“)
6. Oktober 2010, 14:30 – 15:30 Uhr
Pressekonferenz u. a. mit dem Thema:vIVF – nur für Reiche? (Prof. Klaus Diedrich, Lübeck)
6. Oktober 2010, 15:00 – 16:30 Uhr
Hauptsitzung „Reproduktionsmedizin“: Brauchen wir ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz?; Deutsches IVF-Register; Ovarialinsuffizienz: Von der Diagnostik zur Therapie; Ovarielle Stimulation zur assistierten Reproduktion: Neue Entwicklungen; Fertilitätserhalt unter onkologischer Therapie

Media Contact

Petra von der Lage idw

Weitere Informationen:

http://www.dggg-kongress.de

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