Morphologie folgt dem Verhalten

Am Beispiel des ostafrikanischen Buntbarsches Perissodus microlepis fanden Evolutionsbiologen der Universität Konstanz Hinweise, dass Verhaltensformen und Umweltfaktoren eine stärkere Rolle für die morphologische Ausprägung von Tierarten spielen könnten als bislang angenommen.

Perissodus microlepis ist bekannt für sein asymmetrisches Maul, das seitlich entweder nach links oder nach rechts verschoben ist. Konstanzer Wissenschaftler um den Evolutionsbiologen Prof. Axel Meyer, PhD, fanden in ihrer jüngsten Studie starke Indizien dafür, dass entgegen der bisherigen Forschungsmeinung vermutlich nicht ausschließlich genetische Faktoren bestimmen, wie sich das Maul des Fisches entwickelt.

Vielmehr sind auch die Jagdvorlieben der individuellen Fische sowie Umwelteinflüsse ausschlaggebend für die jeweilige Verschiebung des Mauls. Die Forschungsergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals „Proceedings of the Royal Society B“ veröffentlicht. In künftigen Studien soll der Fisch als Modell dienen, um die Entwicklung von Links- und Rechtshändigkeit besser zu verstehen.

Der ausschließlich im ostafrikanischen Tanganjikasee beheimatete Buntbarsch Perissodus microlepis ernährt sich von Schuppen seiner Beutetiere. Er schwimmt bevorzugt von hinten an seine Beute heran und befällt sie von der linken oder von der rechten Flanke, um ihr Schuppen herauszubeißen. Biologen nahmen bislang an, dass sich die Jagdvorlieben – entweder bevorzugt von links oder von rechts anzugreifen – nach der jeweiligen Maulverschiebung des Fisches richten. Ein einzelnes Gen sei zuständig für die Verlagerung des Mauls; das Jagdverhalten des Fisches folge der Ausrichtung seiner Maulform. Henrik Kusche, Dr. Hyuk Je Lee und Prof. Axel Meyer konnten nun in einer umfangreichen Untersuchung der Spezies die These für ein einzelnes „Rechts- oder Links-Gen“ widerlegen. Die Wissenschaftler zeigen in ihrer Studie, dass die individuelle Maulform sich wahrscheinlich eher nach den Jagdvorlieben des jeweiligen Fisches entwickelt und je nachdem „wandert“, ob der Fisch lieber von links oder von rechts attackiert.

Für ihre Studie dokumentierten die Konstanzer Forscher die Ausprägung des Mauls bei rund 300 erwachsenen Exemplaren von Perissodus microlepis, die im Tanganjikasee gefangen wurden, darunter auch 54 Brutpaare. Auch konnten die Biologen für die weitere Forschung Jungtiere aus Afrika lebend mit nach Konstanz bringen. Die Biologen stellten eine weniger ausgeprägte Verschiebung der Maulform bei Wildfangtieren und auch bei den in Aquarien aufgezogenen Jungtieren fest – bei rund einem Drittel der Jungtiere waren die Mäuler sogar nahezu symmetrisch. „In sämtlichen natürlichen Populationen fanden wir jeweils eine ziemlich exakte Gleichverteilung von links- und rechtsmäuligen Fischen vor“, erklärt Henrik Kusche, der auch Doktorand in der International Max Planck Research School für Organismal Biology ist. Anstelle einer klaren Ausprägung nach links oder nach rechts, was für eine klare genetische Ursache sprechen würde, fanden die Forscher fließende Übergänge der Maulverlagerung. „Auch die Partnerwahl bei den Brutpaaren erfolgte nicht nach Präferenzen für eine bestimmte Maulorientierung, sondern in zufälliger Verteilung“, fährt Kusche fort.

„Unsere Ergebnisse sprechen klar gegen die These einer genetischen Determinierung der Maulverschiebung“, zieht Hyuk Je Lee, Fellow des Konstanzer Zukunftskollegs, sein Fazit: „Alles spricht dafür, dass die Morphologie vielmehr dem Jagdverhalten und Umweltfaktoren folgt.“ Die Maulverformung steht also nicht bereits bei Geburt genetisch fest, sondern folgt dem individuellen Verhalten der Tiere und prägt sich mit zunehmendem Alter stärker aus: Hat sich die Verlagerung des Mauls erst einmal ergeben, verstärkt dies weiter die Vorliebe des Fisches für die jeweilige Jagdseite. Die auffällige statistische Gleichverteilung beider Varianten ergibt sich vermutlich aufgrund einer sogenannten negativ-häufigkeitsabhängigen Selektion: Überwiegt die linksmäulige Variante von Perissodus microlepis, so achten deren Beutetiere stärker auf Angreifer von dieser Seite, was wiederum der rechtsmäuligen Variante des Buntbarschs Jagdvorteile bietet und deren Häufigkeit anwachsen lässt. Das Verhältnis beider Varianten gleicht sich auf diesem Wege von selbst aus und schwankt nur in begrenztem Umfang.

In ihrer weitergehenden Forschung beobachten die Konstanzer Evolutionsbiologen nun die heranwachsenden Buntbarsche auf individueller Ebene, um die Verlagerungseffekte der Mäuler direkt zu beobachten. Am Genomics Center Konstanz (GeCKo) überprüfen sie, welche Gene bei links- und bei rechtsgelagerten Exemplaren in der linken und rechten Gehirnhälfte aktiviert werden. Die Präferenz der Tiere für eine spezifische Körperseite, die sich sogar morphologisch niederschlägt, soll als Modell für künftige Forschungen zur Entwicklung von Rechts- und Linkshändigkeit dienen.

Originalveröffentlichung:
Henrik Kusche, Hyuk Je Lee, Axel Meyer: „Mouth asymmetry in the textbook example of scale-eating cichlid fish is not a discrete dimorphism after all“. Proceedings of the Royal Society B 2012 279, 4715-4723
Hinweis an die Redaktionen:
Ein Foto kann im Folgenden heruntergeladen werden:
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Bildtext: Zwei Exemplare des Buntbarsches Perissodus microlepis mit nach rechts und nach links verschobenem Maul.
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Prof. Axel Meyer, PhD
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