Langzeit-EKG für Windanlagen

© Foto Fraunhofer IKTS Für Praxistests in der Ostsee haben Forscher einen Proberohrknoten mit zwei Demonstratoren der Sensormanschette ausgerüstet.

Offshore-Windanlagen müssen vieles aushalten – das gilt vor allem für die Fundamente, die im Meeresboden verankert sind. Von Zeit zu Zeit untersuchen Taucher diese Gründungsstrukturen auf Mängel. Mit einer Sensormanschette lassen sich die Kontrollen künftig schneller und einfacher durchführen. Ein solches System präsentieren die Wissenschaftler auf der Hannover-Messe vom 25. bis 29. April 2016 (Halle 2, Stand C16/C22).

Die Wellen peitschen gegen die Masten der Offshore-Windanlagen, der Wind rüttelt an den Rotoren. Der Fuß der Anlage – unter Wasser, nahe dem Meeresboden – muss daher starke Beanspruchungen überstehen. Auch aggressives Salzwasser schädigt die Fundamente. In regelmäßigen Abständen begeben sich Taucher hinab in die Tiefe und überprüfen die besonders gefährdeten Schweißnähte an diesen Verankerungen. Sind sie nach wie vor intakt? Oder haben sich Risse oder andere Fehlstellen gebildet, die die Sicherheit gefährden?

Um diese Frage zu beantworten, befreien die Taucher die Schweißnaht zunächst mit einem Hochdruck-Gerät von Bewuchs wie Algen und Muscheln. Anschließend legen sie ein elektromagnetisches Feld an die Schweißnaht an und geben Eisenspäne darauf. Ist irgendwo ein Riss, dringt das Feld verstärkt nach außen – die Eisenspäne lagern sich dort an.

Eine schwierige Arbeit für die Taucher: Sie müssen viele Geräte mit in die Tiefe nehmen, starken Strömungen standhalten und genügend Zeit einplanen, um sich an die jeweiligen Wasserdrücke auf dem Tauchgang zu gewöhnen. Die Inspektion einer Anlage dauert bislang etwa einen Tag.

Automatische Messung mit der Sensormanschette

Künftig kann ein Roboter diese langwierige und mitunter riskante Aufgabe übernehmen – genauer gesagt ein kastenförmiges Remote Operating Vehicle, kurz ROV. Die Basis dafür haben Forscher am Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS in Dresden gelegt, gemeinsam mit verschiedenen Industriepartnern. »Wir haben eine Sensormanschette entwickelt, mit der sich diese Messungen vereinfachen und künftig automatisiert durchführen lassen«, sagt Andreas Schnabel, Projektmanager am IKTS.

Das System bietet zahlreiche Vorteile. Es ist weitaus genauer als die bisherigen Methoden: Es analysiert beispielsweise auch die Ausmaße und die Tiefe des Risses, was bislang nicht möglich war. Zudem geht die Untersuchung sehr viel schneller vonstatten als die mühselige Handarbeit – bereits nach zehn Minuten ist sie abgeschlossen.

Doch wie funktioniert das System? »Das Herzstück bildet eine Sensormanschette, die um die Schweißnaht gelegt wird und über die Anlagenlebensdauer dort verbleibt«, erläutert Schnabel. Diese Manschette besteht aus zahlreichen Sensorelementen, die in Abständen von fünf bis sieben Zentimetern wie an einer Perlenschnur aufgereiht sind. Für die Messung koppelt zunächst der Taucher ein Handgerät über eine Schnittstelle an die Manschette an und startet die Untersuchung per Knopfdruck.

Künftig soll der Roboter diese Aufgabe übernehmen. Gleichzeitig sorgt das Handgerät über Akkus für die nötige Energie. Das aufwändige Reinigen mittels Hochdruck entfällt. Reihum fungiert nun eines der Sensorelemente als Aktor. Sprich: Es bringt Ultraschallwellen in die Schweißnaht ein, die die gesamte Struktur durchdringen. Befindet sich irgendwo ein Riss, werden die Wellen an dieser Störstelle reflektiert, während sie durch die intakten Bereiche ungehindert hindurchgehen.

Die anderen Sensoren detektieren die Signale und spüren Fehlerstellen auf diese Weise auf. Anschließend dient der nächste Sensor als Aktor. Er überträgt die Daten per Kabel auf das Handlesegerät, das am PC ausgelesen wird. Auf diese Weise erhalten die Forscher Daten, die denen einer Computer-Tomographie beim Arzt ähneln. Der Endanwender, also der Prüfer der Offshore-Anlage, erhält ein Bild der Schweißnaht, auf dem Fehlstellen je nach Relevanz farbig markiert sind.

Erfolgreicher Praxistest in der Ostsee

In einem Vor-Ort-Test im Offshore-Windpark Baltic 1 konnten die Forscher gemeinsam mit ihren Kollegen von Baltic Taucher aus Rostock bereits zeigen, dass das Verfahren funktioniert. Dazu versahen sie ein verzweigtes Metallrohr mit einem 0,9 Millimeter breiten, 45 Millimeter langen und 7 Millimeter tiefen Riss und brachten es auf den Meeresgrund der Ostsee in 18 Metern Tiefe.

Mit Erfolg: Das System konnte den Riss sehr genau detektieren und sowohl seine Länge, seine Höhe als auch seine Tiefe bestimmen. In etwa fünf Jahren könnte das System zertifiziert und per Roboter einsatzbereit sein, hoffen die Forscher. Somit wollen sie die Lebensdauer der Anlagen nachhaltig sichern und die Energiewende unterstützen.

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Katrin Schwarz

Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS
Winterbergstr. 28
01277 Dresden

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