Kopieren/Einfügen und Löschen: wie man ohne Genregulierung überlebt

Fluoreszierende E. coli-Populationen in einer Petrischale IST Austria – Guet Gruppe

Natürliche Umgebungen unterliegen einem ständigen Wandel. Ist ein Organismus an den Wandel gewöhnt – wie zum Beispiel an den Wechsel zwischen Tag und Nacht oder an moderate Schwankungen im Nahrungsangebot – erfolgt eine Anpassung mittels Genregulierung, sprich: einzelne Gene werden nach Bedarf an- oder abgeschaltet.

Was aber, wenn ein Organismus mit grundlegend neuen Bedingungen konfrontiert wird, für welche er noch keinen entsprechenden Regulierungsmechanismus entwickelt hat?

Die Ausbildung eines solchen Mechanismus dauert sehr lange – bis zu Millionen von Jahren –, da sie vom Auftreten seltener Punktmutationen abhängt und die richtigen Mutationen möglicherweise nicht schnell genug auftreten, wenn sich die Umweltbedingungen sehr rasch ändern.

Die PhD-StudentInnen Isabella Tomanek und Rok Grah aus den Gruppen der Professoren Calin Guet und Gašper Tkačik vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) sowie Jonathan Bollback von der University of Liverpool, UK, stellten sich daher die Frage, ob Bakterien in diesem Fall nicht auf eine andere evolutionäre Lösung, nämlich „Gene copying“, also das Kopieren von Genen, zurückgreifen können, um das Überleben der Population zu sichern.

„Kopieren/Einfügen und Löschen“ schafft genetische Vielfalt

Wie jede andere Mutation findet auch Genduplikation spontan und ununterbrochen statt. „In einer typischen Bakterienpopulation findet sich beim Großteil aller Zellen irgendwo in ihrem Chromosom eine Genduplikation“, so Tomanek. „Wir haben uns über 40 Generationen einzelner Bakterien angesehen und diese Verdoppelungen sichtbar gemacht.

Dabei haben wir auch beobachtet, dass diese ziemlich instabil sind: Die zweite Kopie eines Gens kann in den folgenden Generationen weiter vervielfältigt werden, sodass am Ende viele Kopien vorliegen. Genauso wahrscheinlich kann aber die Vervielfältigung auch sofort wieder gelöscht werden, und das Individuum fällt in den ursprünglichen Zustand mit nur einer Ausführung des Gens zurück.“

Durch diese Instabilität entsteht innerhalb einer Population eine Vielfalt unterschiedlicher Zahlen der Genkopien und, da jede zusätzliche Genkopie die Expression dieses Gens, also dessen Aktivierung fördert, gleichzeitig eine Vielfalt an Genexpressionsniveaus.

Wirkt nun ein bestimmter Selektionsdruck auf diese Population, sollten nur jene Bakterien unter den zuvor unbekannten Bedingungen überleben können, die die für diese Situation richtige Menge an Genkopien aufweisen – so die Annahme der WissenschafterInnen.

Schnelle Änderungen erfordern schnelle Strategien

Um ihre Hypothese zu überprüfen, untersuchten Tomanek et al. die Expression eines für das Wachstum von Escherichia coli relevanten Gens in zwei verschiedenen Zuckerumgebungen: Galaktose, welche für eine hohe Expression des beobachteten Gens selektiert (Umgebung A), sowie ein chemisches Pendant der Galaktose, welches das Bakterienwachstum nur bei geringer Genexpression unterstützt (Umgebung B).

Durch den Wechsel zwischen diesen beiden gegensätzlichen Umgebungen im 24-Stunden-Rhythmus simulierten die WissenschafterInnen einen relativ schnellen Wechsel der Wachstumsbedingungen, der eine Regulierung des untersuchten Gens erfordert. Wie erwartet, stellten die ForscherInnen fest, dass die Populationen ihre Genexpression auf die beiden Umgebungen abstimmten: hohe Genexpression in Umgebung A, niedrige Genexpression in Umgebung B.

Diese experimentell ermittelten Daten wurden von Rok Grah aus der Gruppe theoretischer Biophysiker von Professor Gašper Tkačik aufgegriffen und in ein populationsdynamisches Modell gegossen. Die gesammelten Ergebnisse weisen erstmalig das Kopieren von Genen als eine Strategie zur Adjustierung des Genexpressionsniveaus nach, sobald eine Genregulierung erforderlich, aber kein anderer genetischer Mechanismus vorhanden ist.

Rok Grah: „Das ‚Kopieren/Einfügen und Löschen‘ von Genkopien ist explizit in ökologischen zeitlichen Dimensionen von Bedeutung, d.h. bevor eine langsame Anpassung durch Punktmutationen erfolgen kann und so zu effizienteren evolutionären Lösungen wie Genregulation auf der Ebene jeder einzelnen Zelle führen kann.

Grundsätzlich ist jede Genregion kopierbar und ‚Gene copying‘ kommt in allen Organismen vor. Mit unserem Modell zeigen wir, dass der beschriebene Mechanismus nicht nur auf jegliches Bakterien-Gen wirken kann, sondern prinzipiell auch auf jeden anderen Organismus anwendbar ist.”

Auswirkungen auf die Antibiotikaresistenz

Der breiten Anwendbarkeit des beschriebenen genetischen Mechanismus steht einer ebenso großen Vielfalt potenzieller Auswirkungen auf diverse biologische Phänomene gegenüber. So kann „Gene copying“ zum Beispiel die Wirksamkeit einer Antibiotikatherapie beeinflussen, weil Bakterien ein und desselben Patienten/derselben Patientin aufgrund unterschiedlicher Genkopiezahlen unterschiedliche Antibiotikaresistenzen aufweisen. Dieses als Heteroresistenz bezeichnete Phänomen erschwert es Ärzten abzuschätzen, wie viel eines Antibiotikums zur erfolgreichen Bekämpfung einer bakteriellen Infektion benötigt wird.

Tomanek I, Grah R, Lagator M, Andersson AMC, Bollback JP, Tkačik G & Guet CC. 2020. Gene amplification as a form of population-level gene expression regulation. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-020-1132-7

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Patrick Müller idw - Informationsdienst Wissenschaft

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